Treuebonus soll wachsende Scheidungsrate drücken

■ Britische Regierung will gegen die „wachsende Unmoral“ im Lande einschreiten

Untreue ist nicht mehr das, was es mal war. Es gibt keine Anna Kareninas, Madame Bovarys oder Othellos mehr. Wenn eine Frau feststellt, daß ihr Mann sie betrogen hat, schlitzt sie seine Sachen auf oder kippt Farbe über sein Auto. Wir verurteilen die Verrücktheit des Vorstadtmannes nicht mehr, sondern kichern darüber und solidarisieren uns mit seiner wütenden Frau.

Wenn die Sonntagsblätter eine weitere Story über die Affäre eines Tory-Ministers mit seiner Assistentin bringen, achten wir nur noch auf die Details: Hat er im Bett die Farben seines Lieblingsfußballvereins getragen oder hat er Chablis von ihren Zehen gelutscht? Die Boulevardpresse schreit nach Rücktritt, der Premierminister „steht hinter seinem Mann“, die trockenäugige Ehefrau und die verlegenen Kinder werden zum Fototermin gebeten. Das Fräulein verkauft ihre Geschichte an ein, zwei Zeitungen, heuert einen Werbeagenten an und verschwindet von der Bildfläche. Ein Jahr spätert wird in aller Ruhe die Scheidung verkündet, und der Minister heiratet seine neue Liebe.

Bei etwa einem Sex-Skandal pro Woche fällt es schwer, noch an Treue zu glauben. Im letzten Monat war es die Geschichte von der Prinzessin und dem Rugbyspieler (Lady Di und Will Carling), dem Schuldirektor und dem Callgirl, dem eifersüchtigen Ehemann, der die Designerkleidung seiner Frau aufschlitzte und dem Polizisten, der wegen Bigamie angeklagt wurde. Die Romantik hat die britische Ehe verlassen, und in der Scheidungsrate übertreffen die Briten den Rest Europas. Nach einer jüngsten Umfrage der Tageszeitung The Guardian gab fast ein Viertel der Befragten an, eine Affäre gehabt zu haben. Ein Drittel würde eine eingehen, wenn sich die Gelegenheit böte. Die Sorge über die britischen Scheidungsraten ist so groß, daß sich die Konservativen überlegen, die Leute an der Geldbörse zu packen. Wenn man mehr als zehn Jahre zusammenbleibt, soll man einen Treuebonus erhalten. Wie, fragen die Zyniker, wollen sie das kontrollieren?

Aber geht es wirklich um Untreue? Untreue gegenüber einem Partner wird schnell zu Treue gegenüber einem anderen. Früher ging die Welt unter, wenn ein Mann seiner Frau oder eine Frau ihrem Mann untreu wurde. Othello tötete Desdemona. Das ist vorbei. Großbritannien glaubt nun, nach seinem Verhalten zu urteilen, an serielle Monogamie.

John Major als Heiratsvermittler?

Wichtig ist dabei, die finanzielle Seite der Scheidung zufriedenstellend zu lösen. Die Frau, die die Anzüge ihres Ehemannes zerschnitten hat, ermutigt andere betrogene Frauen, sie nachzuahmen. Wir hoffen, daß die Ehefrau des Ministers ihn zum Teufel schickt und für eine vorteilhafte Scheidung kämpft. Vergeben und Vergessen ist Schwäche. Wichtiger ist, sich einen Anteil an seiner Rente zu sichern.

Und doch hat niemand unrecht. Wir sympathisieren ebenso mit dem Betrüger wie mit dem Betrogenen. Vielleicht bringen die langen Arbeitszeiten und der Arbeitsdruck ein Paar auseinander. Oder vielleicht ist Liebe, oder zumindest Sex, das letztliche Ziel des Konsumenten. Wie soll man wissen, ob das Waschpulver wirklich das beste ist, solange man die anderen nicht ausprobiert hat. Warum sich von eingebrannten Loyalitäten abhängig machen?

Die mangelnde Bereitschaft zur Ehe oder zu langfristigen Beziehungen hat selbst die Regierung zum Einschreiten veranlaßt. Sie wollen die Trennung erschweren und teilen uns mit, daß ein scheidungswilliges Paar nun eine Beratung einholen und den Richter davon überzeugen muß, daß es ernsthaft versucht hat, die Ehe fortzuführen. Wenn schon weder die Kirche noch der Rest der Gesellschaft einen verurteilenden Finger gegen die Untreue rührt, dann will zumindest der Staat es versuchen und ein Paar überzeugen, sich zu küssen und sich zu entschließen. John Major als Heiratsvermittler. Der Verbraucher hat das Recht zur Wahl. Aber bitte nicht zu oft. Isobel Montgomery, London