Pauken ade, lernen ist angesagt

■ Schule soll künftig lebenslanges Lernen lehren. Drei Jahre brüteten Bildungsexperten und Topmanager über "Zukunft der Bildung - Schule der Zukunft". Gestern legten sie Ergebnisse vor Von Walter Jakobs

Pauken ade, lernen ist angesagt

Kaum ein Pädagoge hält noch bis zum regulären Pensionsalter durch. Der Streß in der Schule schafft sie ebenso wie viele Schüler- und Schülerinnen und deren Eltern. Die herkömmliche Schule schafft alle – nur nicht die Kultusbürokratien und die Besitzstandswahrer in den zahlreichen Verbänden. Dabei hat sich die Welt der Kinder tiefgreifend geändert: Mehr als zwei Millionen Kinder leben heute mit nur einem Elternteil, in über 50 Prozent der Familien wachsen Kinder ohne Geschwister auf. Knapp 900.000 der rund zehn Millionen SchülerInnen sind ausländische Kinder. Einige Schulen suchen neue Wege, doch die meisten bewegen sich im alten Trott. Immer mehr fliehen aus dem öffentlichen Schulsektor; Anfang der siebziger Jahre besuchten in den alten Bundesländern 290.000 Kinder Privatschulen. 1992 waren es schon 440.000, obwohl sich die Gesamtzahl der SchülerInnen in diesem Zeitraum erheblich verringerte. Ist das öffentliche Schulsystem zum Niedergang verurteilt?

Nein, lautet die Antwort einer hochkarätig besetzten Kommission, deren Bericht der nordrhein- westfälische Ministerpräsident Johannes Rau gestern vorstellte. Die Botschaft: Mit mutigen Reformen ist die Wende zu schaffen. Nichts darf den Vorstellungen der 22köpfigen Kommission zufolge – der neben Hochschullehrern, etwa Wolfgang Klafki und Hans Günter Rolff, auch Hilmar Kopper (Deutsche Bank) und Reinhard Mohn (Bertelsmann) angehören, so bleiben, wie es ist. Statt vier Jahre sollen die Grundschüler künftig sechs Jahre zusammenbleiben. Danach folgt ein – etwas unklar belassenes – Zweisäulenmodell: der berufliche orientierte Zweig und der gymnasiale. Noten soll es in den Grundschulen überhaupt nicht mehr geben. An ihrer Stelle schlägt die Kommission eine schriftliche Äußerung der Schule an Kinder und Eltern vor. Auch die bisher übliche Empfehlung der Grundschule zum Übergang zu den weiterführenden Schulen möchte die Kommission durch eine allgemeine schriftliche Beurteilung ersetzen. Die Entscheidung über die Schulform läge dann allein bei den Eltern. Gegen die Verlängerung laufen konservative Elternverbände und CDU- Politiker gleichermaßen Sturm. Bayerns Kultusminister Hans Zehetmair (CSU) hält davon ebensowenig wie Düsseldorfs CDU-Fraktionschef Helmut Linssen. „Weder organisatorisch durchsetzbar noch pädagogisch sinnvoll“, urteilt Linssen. Und Heidemarie Mundlos, die Bundesvorsitzende des Deutschen Elternvereins, gibt die Losung aus: „Vier Jahre reichen.“ Die Verlängerung laufe nur darauf hinaus, „Gesamtschulformen auszudehnen“. Zustimmung kommt dagegen von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) und von den Grünen. Doch die Freude vom linken Flügel der Interessensvertretungen ist nicht ungeteilt. Vor allem die Absage an die Gesamtschule stößt vielen in der GEW und bei den Grünen auf.

Auf breite Zustimmung in allen politischen Lagern stößt dagegen die Forderung nach einer „Teilautonomie“ mit eigenen Budget für alle Schulen. Den einzelnen Schulen soll erlaubt werden, sich Lehrer selbst auszusuchen und leistungsgerecht zu entlohnen. Das läßt Lehrerorganisationen wie den Philologenverband nicht ruhen, von einem „herben sozialen Rückschlag“ ist die Rede. Dennoch, gerade das derzeitige Laufbahnsystem sei für eine vernünftige Personalentwicklung in den Schulen „nicht geeignet“, meint die Kommission. Entscheidend für berufliche Karrieren in den Schulen dürfe allein die Leistung sein, auch außerhalb des Unterrichts. Die Schule müsse „pädagogisches Engagement, professionelles Handeln und verantwortungsbewußte Erziehungsarbeit fördern“ und eine „initiativreiche Tätigkeit“ des Schulpersonals „honorieren“. Langfristig angelegte und „gründliche Reformen“ hält die Kommission angesichts des tiefgreifenden Wandels in allen gesellschaftlichen Bereichen für „unabweisbar“. Die Schule müsse statt Faktenhuberei „Lernkompetenz“ aufbauen und zu einem „Lern- und Lebensraum“ werden, um „Identitätsfindung und soziale Erfahrung“ zu ermöglichen. – NRW-Regierungschef Rau hofft, daß durch die Studie Bildungspolitik „wieder zu einem zentralen Thema der gesellschaftlichen Diskussion“ wird. Was die rot-grüne Regierung davon umzusetzen gedenkt, ließ Rau offen. Bei der SPD erinnert man sich mit Schrecken an das Hamburger Beispiel.

Dort wollte die SPD schon einmal eine sechsjährige Grundschulzeit gegen die CDU durchsetzen. Die machte daraufhin das Thema zum Wahlkampfschlager und gewann.