Die Kontrolle verloren

■ Die Chemieindustrie ist auf klarem Rollback-Kurs

BASF hat nichts aus den Fehlern von Hoechst gelernt, dem Konzern, der vor zwei Jahren eine ganze Serie von Störfallen produziert hatte. Als am Sonntag Probleme mit einem Diphyl- Kessel auftraten, stoppten die Ludwigshafener Giftmischer nicht etwa die Produktion, sondern leiteten das Wärmeöl lediglich um. Sie verloren die Kontrolle, und der krankmachende Stoff verteilte sich über der Stadt. Doch erst drei Stunden später, als die Menschen bereits zuhauf über den Kloschüsseln hingen, gab BASF einen Warnhinweis. Auch Hoechst hatte verharmlost.

Das BASF-Debakel zeigt, daß es mit dem Umweltbewußtsein der Chemiemanager – in einer teuren Werbekampagne verkündet – nicht weit her ist. Mehr noch, in der Branche gibt es ein Rollback. Die Standortdebatte, die Umweltschutzstandards als Knebel der Wirtschaft brandmarkt, ist von der Chemieindustrie mitinitiiert worden. Deregulierung lautet deren Forderung – und willfährig lenkt die Politik ein. So sind etwa im Trinkwasser künftig mehr Schadstoffe erlaubt als bisher.

Auch die Forderung nach ökonomischen Anreizen für den Umweltschutz ist nur eine Worthülse. Erst vor kurzem erreichte die Chemieindustrie durch massive Lobbyarbeit beim Wirtschaftsminister, daß die Einleitung von belastetem Wasser wieder billiger wurde. Dabei war die Regelung zur Abwasserabgabe das erste deutsche Gesetz, das die Umwelt nicht durch Verbote und Grenzwerte, sondern durch einen Anreiz zur Schadstoffverminderung schützen sollte. Die strikte Ablehnung der Ökosteuer beweist ebenfalls, daß die Chemieindustrie nur dann Marktwirtschaft proklamiert, wenn es zu ihrem eigenen Vorteil ist. Seit eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung belegt, daß die Chemieindustrie zu den Verlierern einer Energiesteuer gehören würde, blockiert sie stärker als jede andere Branche die Debatte.

Noch markieren die Chemiemanager den starken Max. Doch tatsächlich sitzen sie in einer Zwickmühle. Ihre Strategie der freiwilligen Selbstverpflichtungen hat einen Haken: Sie müßten die Inhaltsstoffe ihrer Produkte sowie die Emissionen ihrer Anlagen offenlegen, sonst glaubt ihnen kein Mensch. Zu einem Dialog mit der Öffentlichkeit aber, das beweist der BASF-Unfall, sind die Manager der Chemieindustrie unfähig. Ein Wandel ist unumgänglich – nicht nur wegen des wachsenden Drucks der Bevölkerung, sondern auch, weil die Politik eine Amok laufende Industrie auf Dauer nicht hinnehmen kann. Annette Jensen