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SanssouciNachschlag

■ Weltrevolution trifft Kunstgewerbe in der Galerie Front Art

Wer kennt es nicht, dieses seltsame Graffito, das an Clubs, Bars und Häuserwände gestempelt ist: ein umgekehrtes Sektglas, an dem drei Striche und ein Querbalken herabhängen. „Party‘s over“, so die Botschaft; Peter Missing heißt der Schöpfer. Ohne ihn und seine Noise-Band Missing Foundation hätten in den späten Achtzigern ganze Abteilungen der New Yorker Polizei und des FBI früher Feierabend machen können. Ein Open-Air-Konzert im Tompkins Square Park endete als höchste Form der Selbstverwirklichung in einer mehrstündigen Straßenschlacht.

Auch fast zehn Jahre später, hat die Musik Peter Missings nichts an Härte verloren, sein Technoprojekt „777“ setzt den Kampf gegen Trommelfelle und Schweinesystem fort. Ähnlich radikal gedacht sind seine künstlerischen Arbeiten, die in der Galerie Front Art zu sehen sind. Die Nische des Eingangsraums gleicht dem Hausaltar eines modernen Voodoopriesters. Auf einer ehemaligen Kühlkammer mit Glastür umrahmen Teelichter einen Buddha; daneben chinesische Münzen, eine Muschel, ein Horn und aus verschrotteten Computern ausgebaute Schaltkreise. Innendrin lauert ein zur Blumenvase umfunktioniertes Wasserbehältnis, das die Aufschrift „Your Mind“ trägt. Auch der zweite Raum ist ein Wust an Zeichen. Auf drei Quadratmetern treffen sich bei Kerzenschein in schwarz, weiß und grau gehaltene expressive Bilder, noch ein Altar und eine Müllskulptur.

Was zusammen mit den im SOS gezeigten Videos das manische Schaffen dieses Allroundkämpfers hätte dokumentieren können, ging jedoch im kleinteiligen Wirrwarr zwischen den originellen, aber dennoch schwachen Rahmen-Objekten Florian Langmaacks und den Chiapas-Fotos von Chris Egan unter. So war es kein Wunder, daß sich zur Begutachtung dieser Melange aus Kunstgewerbe und Weltrevolution neben einer Handvoll Punks auch eine halbe Hundertschaft smarter Yuppies und ein Sat.1 Team einfanden, das vier Mitglieder der lomographischen Gesellschaft begleitete und mit Rufen wie „Macht ruhig Quatsch, das ist schon in Ordnung!“ anfeuerte. Wer jetzt annimmt, daß der Prenzlauer Berg nicht trotz, sondern gerade wegen subkultureller Aktivitäten an Attraktivität für Spekulanten gewinnt, liegt so falsch nicht. Gunnar Lützow

Wahr gewordener und gescheiterter Traum“, bis 14. 10., täglich 15–20 Uhr, Front Art Galerie, Kollwitzstraße 64

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