Wahn Autobahn

■ Morgen beginnt der Bau zur Verlängerung der A 100 von Tempelhof nach Neukölln. Grundstückseigner klagen

Nach fast 20 Jahren Planung, und gegen den anhaltenden Widerstand von Bürgerinitiativen,will Bausenator Wolfgang Nagel (SPD) am morgigen Donnerstag mit den Bauarbeiten für die Verlängerung der A 100 von Tempelhof nach Neukölln beginnen. Das neben der Westtangente und dem Tiergartentunnel umstrittenste Verkehrsvorhaben soll damit auf den Betonweg gebracht werden, noch bevor am 2. November die Klagefrist gegen den Planfeststellungsbeschluß ausläuft. Zwei Grundstückseigentümer haben deshalb beim Bundesverwaltungsgericht eine einstweilige Verfügung gegen den vorzeitigen Baubeginn beantragt.

Geht es nach dem Willen des Senats, soll mit dem Bau des Tunnels von der Hattenheimer Straße bis zum Britzer Damm begonnen werden. In einem zweiten Bauabschnitt wird die Trassenführung auf dem Gelände der Wederstraße gebaut. Vorläufiger Endpunkt des 440 Millionen teuren Ausbaus ist die Neuköllner Ballinstraße. Doch Nagel hat bereits erklärt, daß er entschlossen sei, den Ausbau der A 100 – die Überquerung der Buschkrugallee sowie die Anschlußstrecke A 103 entlang des Teltowkanals nach Schönefeld – zügig voranzutreiben.

Daß die Bürgerbeteiligung auf der Strecke bleibt, stört den Senat wenig. Über 9.000 Einwendungen waren im Verlauf des Planfeststellungsverfahrens eingereicht worden. Gehört wurden sie nicht, teilte gestern die Bürgerinitiative gegen den Stadtring-Süd (Biss) mit. Selbst alternative Trassenführungen, meint die Initiative, seien nicht ernsthaft geprüft worden.

Ob sich das Bundesverwaltungsgericht der Argumentation der Grundeigentümer anschließt, ist fraglich.

Das Planfeststellungsverfahren für die Neuköllner Betonpiste fällt unter das Verkehrswegebeschleunigungsgesetz, eine Klage hat demzufolge keine aufschiebende Wirkung. Die Anwohner argumentieren, daß das Planungsverfahren nicht ordnungsgemäß durchgeführt wurde und die Betroffenen keine Möglichkeit gehabt hätten, die Rechtsmittelfrist auszuschöpfen. „Ich bin gespannt darauf, ob das Gericht entscheidet“, sagte der Anwalt der Kläger, Klaus-Martin Grothe, gestern.

Für Klaus-Martin Grothe und die Biss ist die Verve, mit der sich Nagel noch vor den Abgeordnetenhauswahlen am 22. Oktober der Autolobby anpreist, ein ungewöhnlicher Vorgang. Erst im September war der Feststellungsbeschluß vom Senat verabschiedet worden. Bis zum zweiten Oktober lag das Machwerk, in dem sogar eingeräumt wird, daß die Nebenstraßen durch den Bau der Autobahn keineswegs entlastet würden, in den Rathäusern aus.

Der autobahnwütige Bausenator selbst hatte nie einen Zweifel daran gelassen, daß sein Herz für die Verlängerung der Stadtautobahn Richtung Osten schlägt. Zwar hatte die rot-grüne Koalition den Verzicht auf das Autobahnprojekt erklärt, aber schon kurz nach dem Fall der Mauer hatte Nagel moniert, das Ende der Neuköllner Autobahn sei aus „regionaler Betrachtung fragwürdig“. 1992 wurde die Verlängerung der A 100 in den Bundesverkehrswegeplan aufgenommen. Insbesondere gegen den Abriß der Gründerzeithäuser in der Wederstraße hatte die Bürgerinitiative gegen den Stadtring-Süd, die selbst ihren Sitz in einem alten „Bürgerbauernhaus“ in der Wederstraße 50 hat, immer wieder protestiert. Insgesamt 75 Häuser sollen dem Autobahnbau zum Opfer fallen, sagt Biss-Aktivist Karsten Fechner. Betroffen sind außerdem 50 Gewerbetreibende sowie zahlreiche Grünflächen, darunter der alte Baumbestand auf dem Emmaus- Kirchhof. Dazu komme, sagt Fechner, daß die Schadstoffe aus dem Tunnel ungefiltert über zwei Kamine in die Berliner Luft geleitet würden.

Ob der Autolobby im Berliner Senat ein dauerhafter Erfolg beschieden sein wird, ist allerdings fraglich. Spätestens an der Ellricher Straße wird sich der Senat mit einem der verbliebenen 24 privaten Grundstückseigentümer auseinandersetzen müssen. Außerdem haben auch Gerichte gezeigt, daß sie nicht bereit sind, jeder Argumentation der Planer zu folgen. So verfügte das Verwaltungsgericht bereits 1979 einen Baustopp, um die Britzer Haberechtssiedlung zu schützen. Ein Urteilsspruch, dem der Senat noch heute zu folgen hat. Um die Haberechtssiedlung zu umgehen, muß das bereits fertiggestellte Anschlußstück, die Brücke an der Gottlieb-Dunkel- Straße, abgerissen werden.

Zu guter Letzt steht außerdem in den Sternen, ob und wie der Bund die geplante Verlängerung der A 100 nach Friedrichshain und den weiteren Ausbau der Ostsee-, Bornholmer- und Seestraße als Bundesfernstraßen überhaupt finanziert wird können. Uwe Rada