■ Wie ein Journalist David Copperfield irritierte
: Der David klaut nichts

Das seit Wochen in meiner Lieblingshose verstaute, von diversen Waschgängen recht zermürbte David-Copperfield-ist-super-Informationsfaltblatt behauptete in Unkenntnis des wahren Spektakels über Davids Hamburger Auftritt: „Das Highlight: Die Todessäge – Eine riesige Industriesäge, die alle drei Sekunden einen Zentimter tiefer sinkt, bevor sie David Copperfield in zwei Teile teilt.“ Ich aber sage nun: Das Highlight war nicht die Todessäge, sondern ich, der Mörderjournalist. Ich, der ich Davids Showkonzept kurzfristig über den Haufen warf, ganz ohne Mega-Ventilator, den David schon „zusammen mit seiner Assistentin durchschreiten“ (Infotext) mußte, um überhaupt jemanden aus dem Sessel zu reißen.

Ich war die Überraschung des Abends. Schuld daran ist allein Renates Haarschnabel. Zum besseren Verständnis folgendes Hintergrundwissen: Renate ist eine (rotwangig) glühende Verehrerin von David Copperfield. Am Anfang seiner Show schritt er durch den Saal und suchte im Publikum eine Zutat zu einem diffizilen Zauberkunststück. Da kam Renate mit ihrer Haarnadel gerade recht, und David, der Magier, der Charmeur, der Todessägenübersteher, der sagte statt Haarnadel doch glatt „Haarschnabel“. Wenn das nicht zum Schmunzeln ist, hatten wir einen kalten Sommer.

Gar nicht zum Schmunzeln jedoch für Renate: Unter der Todessäge in Ketten liegend seufzte David noch kurz: „Wenn es schief geht, ist dein Haarschnabel schuld, Renate“, bevor die Todessäge funkensprühend in eine Kerbe schnitt und David Blitz-Bumm von einer Attrappe seiner Beine separierte. Da hat Renate sich bestimmt in internen Überlegungen die verbliebene Haarnadel ins Herz gerammt. Aber zum Glück bemerkte auch David nach einem wehen Schrei sehr schnell, daß die Techniker sich vertan hatten und seine Beine noch an den dafür vorgesehenen Fixpunkten arrangiert waren. Das hat auch Renate gesehen. Da fiel ihr ein Stein vom Herzen und schon wenig später auch die Haarschnabeltasse wieder in die bebenden Hände. Denn David klaut nichts, der zaubert nur leihweise mal mir nichts dir nichts Sachen weg, wie zum Beispiel auch Petras Goldkette.

Da nun David Copperfield merkte, wie vorzüglich das Einbeziehen des Publikums sich auf die Stimmung im von Anfang an halbleer gezauberten Saal auswirkte, zitierte er in einem fort Damen auf die Bühne. Eine, deren Namen mir in all der Aufregung entgangen ist, bekam die Aufgabe, mit dem Rücken zum Publikum einen Ziegelstein, aber nur aus – puh! – Schaumgummi, in die Stuhlreihen zu schleudern. „Der Herr“, so David, „der den Stein auffängt, soll aufstehen.“ Meine Nachbarin traf neben dem Schlag auch noch der Stein, der – puh! – wirklich nur aus Schaumgummi bestand. Zitternd reicht sie ihn mir weiter, in unnachgiebiger Vernunft die Spielregeln und die klare Rollenverteilung anerkennend. Ihre schwitzigen Fingerchen machten den „Stein“ (hihi!) rutschig und entlockten ihm zeichentrickfilmartige Geräusche. Ich stand auf und sah David mitten in seine stechenden, schieferfarbenen weinerlichen Augen. Er forderte mich auf, mein Lieblingsraubtier zu nennen, „jedoch nicht den Namen Ihrer Freundin“. Grins nur, du Vorbild aller Surflehrer, dachte ich, sagte aber bereitwillig „Elefant, lieber David“. Der schmierlappige Synchronübersetzer mußte nicht viel tun, denn ich sprach diesen belanglosen Irrsinn so bilingual, daß David es genauso verstand wie alle HamburgerInnen auch. Nun fragte er noch nach meiner Lieblingsfarbe, und noch bevor ich ein der Wahrheit entsprechendes „blau“ in den Raum schmettern konnte, sagte David „prima, rot“. Dann wurde ich angehalten, doch Platz zu nehmen und den Stein, der ja zum Glück gar nicht echt war, nach hinten zu feuern. Ich traf genau ins Gesicht von Oliver, dessen Telefonnummer und Lieblingsfarbe anschließend zu hören waren. David sprühte die heißen Informationen mit den angegebenen Farben an eine Wand. Die Frau ohne Namen half ihm dabei. Dann plötzlich riß David einen Umschlag von der Wand, in dem sich eine exakte Kopie der just angefertigten Wandzeichnung befand.

„Das gibt es doch nicht!“ scholl es durch den Raum. Zur Vollendung fragte David alle Beteiligten hintereinander noch einmal, ob wir uns jemals vorher begegnet seien. „Mister Elefant“, also ich, zuerst. „Oh, sicher, David, gestern abend, erinnert du dich nicht?“ Meine Nachbarin versank im Sessel. David wollte schon bei Oliver weiterfragen, bemerkte dann aber noch rechtzeitig die unerwartete Antwort. „Aha, wo denn, Mister Elefant?“ „Na, in New York, avec Claudia!“ entfuhr es mir, inzwischen ohne jegliches Schamgefühl agierend. „Impossible!“ schrie David, und zwei Ordner mit Funkgeräten und breiten Kreuzen waren sicherlich schon mal mehr zu Späßen aufgelegt als in diesem Moment. Zeit zum Hinsetzen. Meine Nachbarin zeigte mir einen Vogel. Ich war ganz schnell ganz tief gesunken in ihrem Ansehen.

Ich hoffe aber, daß David nicht nachhaltig verärgert war. Jedoch bin ich immer noch verstimmt darüber, daß er zwei Kollegen einer Hamburger Tageszeitung nach dem Verschwindenlassen aus einer Bretterbude nach sekundenlangem Freudentaumel meinerseits sofort wieder herzauberte. Und so einer möchte die Welt retten! Auch auf die Gefahr hin, nicht in den Entscheidungsprozeß integriert zu werden: Claudia Schiffer sollte sich wieder vermindert um ihr Privatleben und von mir aus um ihre Steuererklärung kümmern. Benjamin v. Stuckrad-Barre