■ Bodo Hombach zur Lage der Sozialdemokratie: Unsere Partei wird stärker, wenn wir die jetzigen Konflikte austragen
: „Der SPD geht es ganz gut“

taz: Wie geht es der SPD?

Bodo Hombach: Ganz gut!

Wie bitte? Die Partei liegt auf der Intensivstation.

Nein. Sie hat zwar schweres Fieber, und dieser Zustand könnte zum Koma führen, aber in der Regel ist Fieber der Anfang eines Heilungsprozesses. Bedrohlicher war die Situation vorher, als die Partei einen schweren Infekt jahrelang verschleppt hat, ohne Gegenkräfte zu mobilisieren. Es gehörte zur Erfahrung in der SPD, daß die in kleinen Zirkeln formulierte Erkenntnis über das, was richtig und zu tun ist, stark abwich von der auf Parteitagen beschlossenen Fassung und dem öffentlich Gesagten. Diese Schizoidität hat die Glaubwürdigkeit angeschlagen. Die Versuche, die gerade begonnene Debatte abzublasen und zur Tagesordnung zurückzukehren, sind Gott sei Dank nicht erfolgreich. Wenn wir die gegenwärtigen Konflikte vor und bei dem Parteitag in Mannheim wirklich austragen, werden wir erstarken. Je mehr Klarstellung, um so besser.

Aber die SPD ist doch noch gar nicht zu einer Debatte über diese zwei Wahrheiten vorgedrungen. Die Grünen sind da weiter.

Wir sind erkennbar mittendrin. Tatsächlich ist es doch so, daß das, womit Joschka Fischer in regelmäßigen Abständen das Publikum überrascht, auf Erkenntnissen beruht, die innerhalb der SPD gereift sind. Sein Ökonomiepapier zum Beispiel liest sich in langen Passagen wie die Mitschrift der berühmt gewordenen Tutzinger Positionen von Rudolf Scharping.

Von denen er dann anschließend wieder abgerückt ist.

Nichtdestoweniger bleibt richtig – und darauf möchte ich hinaus –, daß das gegenwärtige Problem weniger darin besteht, daß bestimmte Erkenntnisse nicht gereift oder bestimmte Positionen noch nicht formuliert sind. Konzepte gibt es zuhauf. Uns plagen extreme Schwierigkeiten bei der öffentlichen Vermittlung und glaubwürdigen Darstellung. Ich habe mir Tony Blair beim Labour-Parteitag in Brigthon angehört. Mein Resümee: Die inhaltlichen Positionen sind interessant, modern, zukunftsgewandt, aber im Vergleich zur gängigen Diskussion bei uns nicht sonderlich originell. Aber eins war brillant: die Präsentation der Person und der ganzen Veranstaltung.

Sie wollen für ein altes Produkt nur ein neues Marketing? Also PR statt Politik?

Gleich kommt noch der Vorwurf vom Waschmittelwahlkampf. Dieser Streit langweilt mich schon lange. Unsere erfolgreichen Versuche, in Nordrhein-Westfalen, Politik an die Menschen heranzubringen, ist oft mit solchen Etiketten diffamiert worden. Ganze Aufsatzkaskaden von Intellektuellen gab es dazu. Die schönste Überschrift lautete: Aufklärung kontra Populismus. Meine Antwort: Politik ist popularisierte Aufklärung. Es geht nicht nur darum, das Richtige zu erkennen. Das allein wäre Wissenschaft. Es geht auch darum, für das Richtige Zustimmung und Bündnispartner zu gewinnen, um es anschließend durchzusetzen. Das ist Aufgabe der Politik. Sollten sich bei uns jene durchsetzen, denen die Kunst der öffentlichen Darstellung als unfein gilt, die nur widerwillig für das als richtig Erkannte auch professionelle Werbung im politischen Sinne betreiben wollen, dann werden wir einen wichtigen Weg aus der Zustimmungskrise nicht finden.

Die SPD weiß doch zur Zeit gar nicht, was das Richtige ist. Ihr Fundament bricht weg. Deshalb taumelt sie orientierungslos durch die Gegend.

Einspruch! Der gegenwärtige Streit in der Partei ist kein Streit um fundamentale Auffassungsunterschiede. Hier prallen nicht Welten, sondern manchmal nur Details aufeinander. Wir sind sehr wohl konsensfähig. Auch wenn sie die wirtschaftspolitischen Grundsatzpositionen von Schröder und Scharping nebeneinander legen, werden sie kaum die Schärfe der Auseinandersetzung erklären können.

Aber gefeuert hat ihn Scharping mit Verweis auf die Unterschiede.

Die Gründe scheinen mir mehr im Politikstil als in Sachzielen zu liegen.

Es gibt eine ganze Reihe von Stimmen in der SPD, beispielsweise Farthmann in NRW, die fordern ein neues Godesberg für die Partei. Gehörern Sie auch dazu?

Es mag Sie überraschen, aber ich bin von Friedhelm Farthmann gar nicht weit entfernt. Wir haben hinsichtlich der öffentlichen Darstellung tatsächlich eine Zäsur nötig, um ein schreckliches Kapitel abzuschließen. Das hat die Labour-Party vorgemacht. Dazu kann ein symbolisch bedeutender Parteitag, der den Endpunkt einer langen Debatte markiert – so wie es auch in Godesberg war – wesentlich beitragen. Wir sind ein diskutierender Organismus. Das soll auch so bleiben. Aber gleichzeitig muß deutlich werden, daß es bei uns so etwas wie Leadership gibt. Eine verläßliche Führung, die Sympathisanten und Wählern deutlich macht, daß das tatsächliche Handeln berechenbar und kalkulierbar bleibt. Godesberg war keine Schönwetterveranstaltung mit beschönigenden Formelkompromissen. Godesberg war ein inszenierter Endpunkt einer hochkontroversen Debatte. Da wurden Grundsatzpositionen ausgeboxt, nicht verschleiert, und die wurden mit Mehrheit entschieden. Die Öffentlichkeit hat diesen symbolischen Akt mit faktischen Konsequenzen sehr wohl verstanden und bis heute honoriert. Offenbar bedarf es einer erneuten, für die breite Öffentlichkeit verstehbaren Klarstellung.

Aber die Führung Ihrer Partei besteht zur Zeit aus Leuten, die sich gegenseitig nicht über den Weg trauen und den jeweils anderen für unfähig halten.

Im persönlichen Gespräch mit den beteiligten Personen stellt sich das weit weniger dramatisch dar als in den Zeitungsspalten. Aber daß in einem Klima, in dem man sich einreden läßt, das Boot sinke, der Kampf um Rettungsboote erbarmungslos wird, ist schrecklich, jedoch nicht überraschend. Aber ich merke in den letzten Wochen, daß das Bewußtsein für die Notwendigkeit, den Kahn zu lenzen und wieder flottzumachen, wächst.

Und die Minderheit hat künftig zu schweigen?

Die Minderheit wird gewiß keine Schwierigkeiten haben, zu erkennen, daß es besser ist, wieder eine Gestaltungschance – sprich Mehrheitsfähigkeit – zu erlangen, als in oppositioneller Reinheit und Schönheit zu sterben. Einen ähnlichen Prozeß haben die Labour- Party und die holländische Partei der Arbeit gerade hinter sich. Die Frage ist, ob Sozialdemokraten in der Lage sind, zu ertragen, daß sie regieren. Übrigens eine Frage, die die Grünen in ähnlicher Weise quält.

Interview: Walter Jakobs