Vorschußlorbeeren für den Chef

Von Kritik zermürbt starren die Weltbanker auf ihren neuen Präsidenten. James Wolfensohn will die Bank effektiver machen  ■ Aus Washington Nicola Liebert

Selten wurde ein neuer Weltbank-Präsident mit einer solchen Menge an Erwartungen überhäuft. James D. Wolfensohn, 61, übernahm erst im Juni dieses Jahres das Amt von dem verstorbenen Lewis Preston – zu einer Zeit, in der das Selbstbewußtsein des Bankkolosses durch die ständige Kritik angeschlagen ist.

Und so blicken die 11.000 Mitarbeiter mit einer Mischung aus Furcht und Hoffnung auf ihren neuen Chef. Furcht, weil er vermutlich Stellen abbauen wird und nicht mehr dulden will, daß 90 Prozent der Bankangestellten weit weg von den Empfängerländern in Washington sitzen. Dezentralisierung ist das Motto. Und Hoffnung – um die zu erfüllen, wird der neue Präsident mit dem phänomenal großen Ego einiges zu tun haben.

Die Weltbank hat gegen eine Welle von Kritik anzukämpfen, Kritik, die oft genug sogar die Banker selbst als gerechtfertigt anerkennen müssen. Beispielsweise sind nach der jährlichen Bestandsaufnahme der Weltbank 42 Prozent aller Projekte nicht als nachhaltig zu bezeichnen, 15 Prozent gelten als Problemfälle.

Jetzt wird auch noch das Geld knapp. Der US-Kongreß weigert sich schlicht, die Einzahlungen für die Weltbank-Tochter IDA (International Development Agency) freizugeben, die Kredite zu besonders vorteilhaften Kondition an arme Entwicklungsländer vergibt. „Die Wiederauffüllung von IDA ist das wichtigste Problem, das auf mich als Weltbankpräsident zukommt“, erklärte Wolfensohn.

Trotz all dieser Schwierigkeiten wird der neue Präsident mit Vorschußlorbeeren geradezu überhäuft. Dabei sind viele Entwicklungen, derer er jetzt gerühmt wird, seinem Vorgänger Lewis Preston zu verdanken, etwa die Kürzung von Verwaltungskosten um zunächst sechs Prozent.

Tatsächlich wurde die Bank in den vergangenen Jahren ein wenig offener – sie hat beispielsweise eine Beschwerdekommission eingerichtet (siehe Kasten) – und ein wenig grüner. So werden jetzt nur noch zwei oder drei Staudämme im Jahr genehmigt, wo es früher acht waren.

Der Anteil der Darlehen für Gesundheits-, Bildungs- und Umweltprojekte stieg seit 1989 von acht auf dreißig Prozent. Zudem bemüht sich die Weltbank um mehr Einbindung von regierungsunabhängigen Gruppen. Erst im Juni schuf die Bank darüber hinaus sogar eine neue Organisation, die Kleinstkredite an Kleinstunternehmer vergeben soll.

Wolfensohn, ein aus Australien stammender US-Amerikaner, betont bei jeder Gelegenheit, daß die Armutsbekämpfung im Zentrum der Bankaktivitäten stehen müsse. Immerhin wurde nach seinem Amtsantritt ein Papier an die Presse lanciert, in dem erstmals ein Erlaß der Weltbank- und IWF- Schulden für die ärmsten Länder vorgeschlagen wird. Die Diskussion darüber wurde jedoch bis zur nächsten Tagung im April vertagt. Doch trotz aller Bekenntnisse zur Armutsbekämpfung, vergibt die Weltbank nur etwa ein Drittel ihrer Kredite an die ärmsten Länder, Tendenz sinkend.

Der klassische Erste-Welt-Banker, der es sich durchaus erlaubte, für seinen sechzigsten Geburtstag die New Yorker Carnegie-Hall zu mieten, hat sich gleich nach Amtsantritt mehrere Touren durch die Dritte Welt verordnet. Was er in Uganda, in Gaza oder im mexikanischen Chiapas gesehen hat, scheint ihn beeindruckt zu haben. Die mexikanische Finanzkrise, so betonte er etwa, könne nicht ohne die soziale Krise in Chiapas gesehen werden, und genau dort wolle die Bank ansetzen.

Um seine Ziele zu erreichen, das weiß Wolfensohn wohl, muß er einen Wandel in der Bürokratie der Bank erreichen. Eine große Aufgabe es wird sein, endlich von der bisherigen Arbeitsweise wegzukommen, bei der nur die Menge und nicht die Qualität der vergebenen Kredite etwas gilt.

Doch zwei Dinge bleiben, die Wolfensohns Ansatz fragwürdig erscheinen lassen: Zum einen hat er seine Probleme mit der selbstverordneten Offenheit der Bank. „Eine ernste Diskussion ist äußerst schwierig, wenn jede Nuance davon sofort auf den Titelseiten der Zeitungen erscheint“, schimpfte er auf einer Pressekonferenz. Die Beschwerdekommission der Bank scheint ihm ein Dorn im Auge zu sein. Zum anderen gehört offenkundig auch der Umweltschutz nicht zu seinen Anliegen. In seiner Eröffnungsrede der Gouverneurstagung erwähnte er den Begriff nicht einmal.

Zu vermuten ist hingegen, daß Wolfensohn, der in seinem früheren Leben nicht nur Olympia- Fechter und Cellist war, sondern auch Investmentbanker, stark auf die Förderung des Privatsektors setzen wird. Ein vor wenigen Tagen veröffentlichter Weltbankbericht ergeht sich in Lobpreisungen der Privatisierung von Staatseigentum als Heilmittel für zu geringes Wirtschaftswachstum.

Die zweite Weltbank-Tochter IFC (International Finance Corporation) ist schon jetzt der am schnellsten wachsende Zweig der Weltbank. Die IFC fördert mit öffentlichen Geldern private Investitionen in Entwicklungsländern. Begünstigt werden dadurch beispielsweise Konzerne wie Shell, der eine Pipeline durch das nigerianische Ogoni-Land bauen will, oder Suzuki, der Ungarn mit Autos beglücken darf. Die IFC folgt nicht denselben immer strengeren Auflagen wie die Weltbank; so wird eine Umweltverträglichkeitsprüfung nur bei acht bis zehn Investitionsvorhaben im Jahr durchgeführt – bei insgesamt jährlich rund 300 IFC-Projekten.