EU-Chefjurist deckt Atomtests

Seit der Franzose Jean Louis Dewost aus dem Urlaub zurück ist, sehen die EU-Juristen keinen Anlaß mehr, Frankreichs Atomtests im Südpazifik auf ihre Sicherheit zu überprüfen  ■ Aus Brüssel Alois Berger

Einige EU-Kommissare und eine Reihe untergeordneter Beamte versuchen seit Wochen, eine Prüfung der französischen Atomtests nach dem Euratom-Vertrag zu verhindern.

Die schärfsten Querschüsse kommen dabei aus dem juristischen Dienst. Diese Abteilung, die den meist juristisch unerfahrenen Kommissaren vor allen Entscheidungen die Rechtslage vorkauen soll, kam im August zu dem Schluß, daß Frankreich die Atomtests in Brüssel anmelden muß. Der Euratomvertrag, einer der drei Gründungsverträge der Europäischen Union, gelte nicht nur für zivile Atomversuche, sondern auch für militärische. „Besonders gefährliche“ Versuche müßten sogar von Brüssel genehmigt werden. Ob die Tests auf Moruroa besonders gefährlich sind, hätten EU- Experten zu prüfen, Frankreich müsse die notwendigen Informationen zur Verfügung stellen.

Doch im August war der Chef des juristischen Dienstes, der Franzose Jean-Louis Dewost, gerade nicht in Brüssel. Inzwischen ist er zurück, und jetzt kommt seine Dienststelle zu einem ganz anderen Schluß. Aus dem Euratomvertrag lasse sich nicht das Recht der Europäischen Kommission ableiten, heißt es in einer vertraulichen Empfehlung an die Kommissare, die Atomanlagen zu kontrollieren. Selbst wenn Paris seiner Informationspflicht nicht nachgekommen sei, könne die EU-Kommission weder einen Stopp noch ein Aussetzen der Testserie verlangen, wie Umweltkommmissarin Ritt Bjerregaard das wünscht.

Jean-Louis Dewost ist nicht irgendwer. Er ist einer der sechs Franzosen, die noch vom früheren Kommissionschef Jacques Delors an Schlüsselstellen der multikulturellen Verwaltung in Brüssel plaziert worden waren, um den französischen Einfluß zu sichern. Eine in den letzten Tagen bekanntgewordene Gesprächsnotiz, nach der es ein geheimes Stillhalteabkommen zwischen Paris und Brüssel gibt, bezieht sich ganz offensichtlich auf Gespräche von Dewost mit französischen Regierungsstellen.

Die streng vertrauliche Notiz, die auch der taz-Korrespondent lesen durfte (s. taz v. 27.10.), legt den Schluß nahe, daß die Kommissionsspitze nicht eingeweiht war, daß aber die selbsternannten Verhandlungsführer davon ausgingen, im Geist ihrer Vorgesetzten zu sprechen. Sprecher der Kommission haben mehrfach dementiert, daß es die Stillhaltevereinbarung gibt, fahnden aber verzweifelt nach dem Dokument, das sie demnach nicht für unwahrscheinlich halten.

Für das Kollegium der 20 EU- Kommissare ist die Einschätzung des juristischen Dienstes nicht bindend. Die Empfehlung, nichts zu tun, kommt einigen jedoch gerade recht, um den Konflikt mit Frankreich zu vermeiden. Das Europäische Parlament könnte die Kommission anschließend allerdings wegen Pflichtverletzung vor den EU-Gerichtshof zerren. Und ob die obersten Richter in Luxemburg den Winkelzügen von Dewosts juristischem Dienst folgen, ist eher zweifelhaft.