München steckt in der rot-grünen Sackgasse

■ Die einstmals fortschrittliche rot-grüne Verkehrspolitik in der Metropole ist am Ende. Nach dem sturen Kronawitter kam der BMW-Beschwichtiger Ude (SPD)

München (taz) – Es war einmal ein Oberbürgermeister mit einer sagenhaften Sturheit. Wenn dieser Georg Kronawitter in seinem Amtszimmer am Münchner Marienplatz eine einsame Entscheidung getroffen hatte, blieb seinen SPD-Stadträten meist nur ein braves Nicken. Wer sich nicht fügte, wurde von Kronawitter in Einzelgesprächen bearbeitet. Kaum einer wagte es danach noch, sich den Drohungen des „Ober“ zu widersetzen. Selbst seine grünen Koalitionspartner fügten sich und nörgelten nur in aller Stille.

So quälte er Partei und Partner mit seinen Ansichten zur Asylpolitik. Und mit ähnlicher Sturheit entwickelte Kronawitter auch in der Verkehrspolitik radikale Vorstellungen, allerdings ziemlich fortschrittliche: „Wir müssen Widerstände überwinden und uns konsequent gegen die Autofahrer durchsetzen, sonst geht unsere Stadt kaputt“, verkündete er 1990.

Und Georg Kronawitter ließ solchen Reden auch Taten folgen. Eine Stunde Parken in der Altstadt kostet seitdem fünf Mark, der Marienplatz ist autofrei, einige Stadtteile wurden konsequent verkehrsberuhigt und mit Regeln zum Anwohnerparken versehen. Die Statistiker meldeten daraufhin den für eine Großstadt einmaligen Erfolg: 1992 ging erstmals der Anteil der Wege zurück, die die Münchner mit dem Auto zurücklegen. Fußgänger- und Radverkehr, Busse und Bahnen profitierten davon.

Doch 1993 trat der gute Mann der Münchner Verkehrspolitik zurück, und bald danach fand die Geschichte von den progressiven rot- grünen Zeiten ein Ende. Denn Kronawitters Parteifreund und Nachfolger Christian Ude hat den Schmusekurs wiederentdeckt: Nur keinem Autofahrer wehtun, lautet sein unausgesprochenes Motto.

Ständig sendet Ude Signale an die Münchner Autofahrer, daß er ihnen weder Platz noch Geld abnehmen will.

Gestern demonstrierte der Münchner Oberbürgermeister beispielhaft die neue Harmonie mit BMW. „Verkehrsprobleme gemeinsam lösen“ war die Pressekonferenz überschrieben – und die Rede war nicht etwa vom Verkehrsproblem des Flottenverbrauchs bei BMW. Stattdessen hat Ude den „Konsens“ mit BMW entdeckt. So sei es „sinnvoll, einen geschlossenen Autobahnring um München zu haben“. Die dafür notwendige neue Autobahn liegt zwar quer zur Parteimeinung, aber dafür auf Linie der Autolobby von BMW bis ADAC.

Allerdings muß man zu Udes Entlastung erwähnen, daß er nicht zu den Betonköpfen der SPD zählt. Risiken und Nebenwirkungen des Straßenverkehrs sind dem früheren Stellvertreter Kronawitters bekannt. Doch nach seiner Diagnose folgt nur die halbe Therapie: Den Ausbau des öffentlichen Verkehrs fordert Ude gerne, doch Einschränkungen für Autos sind das Tabu seiner Amtszeit.

Daß Ude damit gewissermaßen eine Verkehrspolitik wider besseres Wissen macht, ist nur durch die letzten beiden Münchner Kommunalwahlen zu erklären.

Denn in zwei Wahlkämpfen 1993 und 1994 gelang es der CSU, eine ziemlich einfache Gleichung in die Köpfe vieler Wähler zu hämmern: „Rot-Grün = Stau.“ Oder, als Wahlkampfslogan formuliert: „Nein zum Stau. CSU.“ So gibt eine Sozialdemokratin zerknirscht zu, daß sich „die Stimmung in der Stadt auch durch diese Kampagnen ziemlich geändert hat“. Was früher Verkehrsberuhigung hieß und positiv klang, sei für viele nur noch „Schikanen für Autofahrer“.

Allen Ernstes kann die CSU- Herrenriege im Rathaus heute wieder einen Ausbau einer Ringstraße mit drei Tunnels fordern, die zwei Milliarden Mark kosten würde. Daß das allenfalls punktuelle Entlastung schafft, daß die 19 Millionen Autokilometer pro Tag dadurch nicht weniger würden – so etwas interessiert in der Münchner Diskussion nicht mehr.

Die SPD ist deshalb vor einer schwierigen Frage: Tauchstation oder Offensive? Die Mehrheit hat sich mit Christian Ude für die Unterwasserlösung entschieden: Man beschränkt sich auf die Förderung von Bussen und Bahnen und hofft, daß die CSU nichts finden wird, um die Autofeindlichkeit der SPD zu geißeln.

Aber diese Hoffnung sei fatal, sagt der Sozialwissenschaftler Werner Brög von Socialdata. Er verweist auf Erfahrungen von Städten wie Graz: „Dort hat eine, übrigens konservative Stadtspitze, relativ konsequent an Tempo 30 festgehalten – trotz Widerstands der FPÖ, die das Thema im Wahlkampf instrumentalisiert hat.“ Ergebnis: Eine Zeitlang sank die Zustimmung der Bevölkerung, doch als die Stadtregierung gegensteuerte, stieg sie deutlich an. Selbst eine Volksbefragung überstand die Stadtspitze.

Brögs Rat an Verkehrspolitiker in München und anderen Städten, die vor einem verkehrspolitischen Rollback stehen: durchhalten. „Und kommuniziert die Ziele, nicht die Inhalte. Macht immer wieder deutlich, daß eure Verkehrspolitik nicht Autofahrer schikanieren soll, sondern den Menschen ein erträgliches Leben in der Stadt ermöglichen.“ Felix Berth