■ Die kleine Breitseite
: Wahl-Sumpf-Kampf

Wahlkampf in Berlin? Kann ich nicht erkennen! Ich sehe nur Plakate. „Berlin brummt!“ Vor Dummheit? Vor Provinzialität?

Oh, bitte keine Beleidigung der Provinz! Berlin ist seit jeher auf das angewiesen, was von draußen hereinkommt. Und wehe, es kommt nichts. Schlimm, mit ansehen zu müssen, wie Berliner Lokalpolitiker mit ihren eigenen beschränkten Mitteln einen Wahlkampf bestreiten müssen.

Die FDP, oder besser gesagt, die Summe ihrer Berliner Ortsvereine, weigert sich zur Kenntnis zu nehmen, daß ihre Zeit vorbei und sie von niemandem gebraucht wird. Tief greift sie in den Berliner Sumpf und präsentiert auf ihren Plakaten ein rotgrünes Froschpärchen, das es miteinander treibt!

Skandal! Gefahr im Verzug: „Uffjepasst!“ – da kopulieren zwei, und die FDP ist nicht dabei: Das ist Wahlkampf unterhalb der Fünfprozenthürde! Der Wähler muß wissen: Ohne Kopulationspartner kann die FDP im Berliner Sumpf auf Dauer nicht überleben. Sie muß sich paaren, egal, mit wem, am liebsten natürlich mit Häuptling Großer Brummbär, dem Leistungsträger des Berliner Bockwurstmilieus.

Ein Hauptstadthäuptling, der nach seinem olympischen Selbstbetrug in Bonn schon gar nicht mehr vorgelassen wird, sich aber kraft seiner geistigen Bescheidenheit als erster Kammerdiener seines Staates feiern läßt. Sein Wahlplakat verrät rundherum satte Zufriedenheit. Diese Berliner Sumpfgeburt ist sich selbst genug.

Wenn man der Sozialdemokratie glauben darf, geht es jetzt allein um das, was sie innerhalb der Großen Koalition nicht machen durfte: „Eine bessere Politik!“ Wenn einem gar nichts mehr einfällt, hilft nur noch neupreußische Sachlichkeit!

Frau Stahmer hatte sich dem Wahlkampf bisher auf sympathisch selbstlose Weise verweigert: Kreislaufkollaps, Fingerbrüche und Bratwurstvergiftung – besser läßt sich der Zustand der Sozialdemokratie nicht beschreiben. Frau Stahmer will es trotzdem wissen, wie man die SPD unter die 25-Prozent-Marke drückt. Nach einem Beratungsgespräch mit einem Textildesigner erscheint uns die Kandidatin als kostümierte Kompetenz und läßt sich vom Tagesspiegel Komplimente machen: Rot steht ihr gut!

Das Bockwurstmilieu schlug zurück: „Jede Stimme für die SPD ist eine Stimme für die PDS!“ Also doch Wahlkampf! Und sogar unter Morgenpost- Niveau! Richtig so, denn dort trifft das Bockwurstmilieu auf seine wahlverwandten Wählerschichten.

Stumpfberliner wählen Sumpfberliner. Berlin bleibt Berlin. Matthias Deutschmann

Der Kabarettist lebt in Freiburg und Berlin