Busengrapschen als „persönliches Bedürfnis“ richterlich anerkannt

■ Amtsanwalt stellte Ermittlungsverfahren trotz Beweislage ein. Der Griff an den Busen sei keine „gewollte“ Herabsetzung

Berlin (taz) – Seit Mitte September hat die Frankfurterin Vera Steiner* allen Grund, an ihrer Berufwahl zu zweifeln. „Da studierste selbst Jura und dann passiert dir doch glatt so ein Mist.“

Den „Mist“, den die angehende Juristin bis dahin nicht für möglich gehalten hatte, verzapfte die Amtsanwaltschaft Frankfurt. Es ist ein Beschluß, mit dem ein von Steiner angestrengtes Ermittlungsverfahren wegen Beleidigung eingestellt wurde – eines jener seltenen Verfahren wegen sexueller Belästigung, das eigentlich alle Chancen gehabt hätte, zu einer Verurteilung zu führen.

Denn Steiner konnte stichhaltige Beweise beibringen: Ein Mann hatte ihr an den Busen gefaßt – nicht versteckt, nicht irgendwo im Dunkeln, sondern am hellen Tage, unter Publikum, mitten in der belebten Frankfurter Senkenberganlage.

Der Mann war mit seinen beiden Kindern unterwegs, Vera Steiner mit einer Freundin, als im Vorbeigehen der Griff an die Brust erfolgte. Steiner schimpfte laut, der Mann ließ ab und begab sich mit seinen Kindern zu seinem Auto. Dessen Kennzeichen hatte sich Vera Steiner geistesgegenwärtig noch notieren können.

Sie habe noch nicht einmal einen Mini, sondern einen langen Rock angehabt, eine Jacke obendrein, sinnierte die Jurastudentin hernach, ein vergeblicher Versuch, der plötzlichen Attacke ein fragwürdiges Moment von Schlüssigkeit abzuringen.

Der Frankfurter Amtsanwaltschaft kam es auf solche Details schon gar nicht mehr an. Sie kam zu dem Schluß, daß „eine sexualbezogene Beleidigung der Anzeigenerstatterin (...) nach der ständigen Rechtssprechung des Bundesgerichtshofes“ nicht vorliege. Der BGH habe entschieden, so unterrichtete der Amtsanwalt die Jurastudentin, „daß §185 [Beleidigung (StGB), d. Redaktion] nur dann erfüllt sei, wenn der Täter durch sein sexuelles Verhalten zum Ausdruck bringe, die Betroffene weise einen ihre Ehre mindernden Mangel auf“.

„In dem Verhalten des Beschuldigten müßte eine – von ihm gewollte – herabsetzende Bewertung des Opfers zu sehen sein.“ Die vermochte der Amtsanwalt nicht zu erkennen, deshalb beschied er Vera Steiner: „Die erforderte Willensrichtung des Beschuldigten ist im vorliegenden Fall nicht nachweisbar. Denn es sind keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür vorhanden, daß sein Verhalten darauf gerichtet war, den sozialen Achtungsanspruch der Anzeigenerstatterin zu verletzen.“

Der Amtsanwalt kommt zu dem einfühlsamen Schluß: „Möglicherweise wollte er eher ein persönliches Bedürfnis befriedigen, ohne die Zeugin herabzusetzen.“

Wie Mann das eine tun und das andere lassen kann, bleibt das Geheimnis des Amtsanwaltes. Doch daß dieser, wie er entschuldigend bekundete, sich im Einklang mit der „höchstrichterlichen Rechtssprechung, die zwar kritisierbar, aber bindend ist“, befinde, will ihm Alexandra Goy nicht abnehmen. Die Berliner Rechtsanwältin, in jahrelanger Praxis vertraut mit Belästigungsverfahren, sieht den BGH falsch in Anspruch genommen. Die höchsten Strafrichter hätten in entsprechenden Verfahren zwar betont, daß bei der Klärung des Sachverhaltes auf den Gesamtzusammenhang der Umstände abzustellen sei, doch sei dieser im vorliegenden Fall selten eindeutig.

Der Amtsanwalt könne nicht einfach seine eigene Wertung des Geschehens unterstellen, zumal diese stark durch den männlichen Blick geprägt sei.

Die Jurastudentin Steiner erhielt nach diesem Exempel in Sachen Strafrecht als kleine Dreingabe eine Lektion in praktiziertem Zivilrecht. Sie hat nunmehr noch die Möglichkeit, gegen den Busengrapscher auf Schmerzensgeld zu klagen. Doch dann würde dieser ihre Adresse erfahren. Und, so wurde ihr vorsorglich erläutert, man wüsste ja nicht, wie solche Leute reagieren. Dieter Rulff

*Name von der Redaktion geändert