Augen zu und durch

■ Die Nato scheut den Konflikt mit Willy Claes

Die Nato starrt auf den belgischen Parlamentsausschuß wie ein Karnickel auf die Schlange. Wenn dieser in den nächsten Tagen die Immunität von Willy Claes aufheben sollte, ist die Allianz ihren Generalsekretär los. Dabei gäbe es auch ohne formelle Anklage vor einem belgischen Gericht genug Gründe, sich vom Chef zu trennen. Aber die Nato scheut den Konflikt.

Claes hat 1988/89 als belgischer Wirtschaftsminister der italienischen Firma Agusta und der französischen Dassault gegen den Rat von Militärexperten Rüstungsaufträge zugeschanzt. Die beiden Unternehmen spendeten dafür einige Millionen an die flämischen Sozialisten. Das alles ist längst belegt. Es hängt mit dem belgischen Politikverständnis zusammen, daß sich Claes nicht nur unschuldig fühlt, sondern auch noch darauf hoffen kann, daß diese Sicht vom belgischen Parlament geteilt wird. Denn Claes hat nicht für sich gehandelt, sondern für seine Partei. Das ist edel und üblich. Wäre es anders, müßten die Parteien ihre Mitgliedsbeiträge erhöhen, und das will niemand. Es ist kein Zufall, daß die Immunität, die eigentlich vor juristischen Behinderungen bei der Amtsausübung schützen soll, in Belgien lebenslänglich gilt. Nicht die Justiz, sondern Politiker entscheiden, ob sie einen der ihren ans Messer liefern wollen.

Die entscheidende Frage ist, ob die Parlamentarier im Dossier des Staatsanwalts allzu deutliche Beweise finden, daß Claes Urkunden gefälscht und die Untersuchungsrichter angelogen hat. Wenn nicht, werden sie zwar weitere Nachforschungen erlauben, auf die Anklage aber vorerst verzichten. Dann muß sich die Nato überlegen, wie lange sie sich einen angeschlagenen Generalsekretär noch leisten will. Alois Berger, Brüssel