Er war einsam, aber schneller

■ Scharping verkauft der SPD-Fraktion seinen Diäten-Schwenk erfolgreich als weise Eilentscheidung

Berlin (taz) – Es gibt noch welche, die halten zu Rudolf Scharping: Dem SPD- Parteivorsitzenden gelang es gestern, im Streit um die Diätenerhöhung die Bundestagsfraktion auf seinen überraschenden Schwenk vom Freitag letzter Woche einzuschwören. Fünf Stunden tagte die Fraktion, dann trat ihr Chef gefaßt vor die Presse: „gründlich“ habe man sich ausgesprochen, „kritisch, aber auch konstruktiv“ sei es zugegangen, „es bleibt bei den Festlegungen vom Freitag“.

Scharping gelang es, so berichteten TeilnehmerInnen der Sitzung, die Angriffe gegen sich auf die Ministerpräsidenten der SPD-Länder zu lenken, die den Diätenbeschluß des Bundestages zu Fall gebracht haben: auf Gerhard Schröder, dessen schleswig-holsteinische Kollegin Heide Simonis und den Hessen Hans Eichel. Besonders sauer ist die Fraktion auf Eichel, da die Diäten im hessischen Landtag höher sind als die in Bonn. Scharping überzeugte die Fraktion, daß ihm angesichts des Vetos der Länder zu einer Grundgesetzänderung gar nichts anderes übriggeblieben sei, als seinen Kurswechsel vorzunehmen. Er habe den Eindruck verhindern wollen, „daß die Fraktion von den Ministerpräsidenten auf den Weg der Vernunft gebracht“ werde. Für seine Aussage, er sei vor einem Jahr noch optimistischer gewesen, „heute dafür aber um so entschlosser“, erhielt der angeschlagene Parteichef intensiven und langen Beifall.

Als Ziel der SPD nannte Scharping nun eine Verkleinerung des Bundestages, eine Reduzierung der Pensionen für die Mandatsträger und die Verkoppelung der Diäten „mit der allgemeinen Einkommensentwicklung“. Scharping hielt auch an der Forderung nach einer Offenlegung von Nebeneinkünften der Parlamentarier fest. Notfalls werde die SPD für sich „eigene Verhaltensregeln“ festlegen. Jetzt müsse im „Gespräch“ mit den anderen Fraktionen geklärt werden, „welche Konsequenzen für diese Legislaturperiode zu ziehen sind“.

Den Blitzableiter für die frustrierten Genossen mußte die Berliner SPD-Spitzenkandidatin Ingrid Stahmer spielen. Das Land will sich am Freitag enthalten, wenn im Bundesrat über die Diäten- Grundgesetzänderung entschieden wird. „Kommt ihr wieder mal und wollt was für Berlin“, wurde Stahmer angegangen. Sie sei daraufhin „ausgerastet und aus dem Anzug gesprungen“, erklärte sie selbst und beschwerte sich sichtlich genervt über die „Stellvertreterkriege“. Wolfgang Gast

Seiten 4 und 10