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SanssouciVorschlag

■ Jungle Horn Poetry mit dem Paul Brody Octet im Quasimodo

Seine Trompete hätte dieser Mann nie aus dem Fenster geschmissen, auch wenn ihm das einer seiner Lehrer am New England Conservatory in Boston einst geraten hatte. Und daß man einen fetten Ton haben muß, um Jazz zu spielen, das hat Godfather Ornette Coleman schon vor 35 Jahren widerlegt. Der fette Groove ist viel wichtiger. Wenn Paul Brody will, hat er beides. Seine Kompositionen seien einfach zu spielen, aber schwer zu lesen, witzelt der Mittdreißiger. „Laßt uns zusammen richtig spielen, aber richtig schlampig“, lautete die Devise, und nun, nach drei Jahren, sind er und sein Berliner Oktett soweit. Heute abend stellen sie im Quasimodo ihre erste CD „Turtle Paradise“ (99 Records) vor. Darauf findet sich endlich auch der Brody-Klassiker „Suite for Potsdam“, den er schon seit Jahren auf den hiesigen Club- und Festivalbühnen aufführt.

In New York würde man Brodys Mix-and-Match-Avantgardism-Octet mit offenen Armen empfangen. Über seinem Käppi würde der obligatorische „What Is Jazz?“-Sticker glänzen, und sein Mikrophon wäre mit einem Schildkrötenkopf aus Plaste verziert. Aber für Eskapaden haben die Jungs keine Zeit. Dafür sind sie auch viel zu langsam. Das Schildkrötenparadies ist für die mit dem langen Atem reserviert. Für solche, die sich festbeißen können, ohne gehetzt zu werden. Deshalb klingt Brodys Version des Ellington-Klassikers „Caravan“ ja auch wie eine herannahende Dampfwalze, die auf eine Harley fahrende Gitarre trifft und sich gemeinsam mit einer osteuropäischen Zirkusband daranmacht, den Ku'damm zu renovieren. Gerade ist das Oktett von einem Jazzfestival in der Nürnberger Gegend zurückgekehrt, wo sie neben dem etablierten Kronos Quartett als Highlight gefeiert wurden. Funky Riffs, coole Jungs und haufenweise Sounds von tanzenden Schildkröten: Your Neighbourhood's Groove. Christian Broecking

Heute, 22 Uhr, Quasimodo, Kantstraße 12a, Charlottenburg

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