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SanssouciVorschlag

■ Louis Althusser verstehen mit zwei mal drei E-Gitarren? Vielleicht.

Rätselhafter Bilderreigen und gigantischer Herrenwitz:

Althusser Rock im Theater Zerbrochene Fenster Foto: Thomas Aurin

Who the fuck is Louis Althusser? Ein marxistischer Philosoph, dessen antihumanistische „Kapital“-Exegese Furore machte. Ein Professor an der Ecole Normale Supérieure, zu dessen Schülern Foucault und Derrida gehörten. Ein depressiver Irrer, der 1980 seine Frau erdrosselte und die letzten zehn Jahre seines Lebens in der Psychiatrie verbrachte. Und schließlich: ein Autobiograph, der sein verunglücktes Leben zu verstehen, zu erklären versucht hat. Es braucht viel assoziativen Wagemut, die Ähnlichkeit zwischen dem Titel seiner Bekenntnisse „L'avenir dure longtemps“ und der Parole „Rock 'n' Roll will never die“ zu entdecken. Die Theatergruppen Diplous Eros aus Athen und Mahagoni aus Hildesheim haben ihrer Phantasie freien Lauf gelassen und sind mit dem Ergebnis von Athen über Paris nach Berlin gereist. Zwei mal drei E-Gitarren macht sechs. Aber was ergeben zwei plus drei Körperöffnungen plus Nirvana plus ein toter Zuhörer der Rolling Stones?

„Althusser Rock“ ist eine Gleichung mit vielen Unbekannten, ein reicher, rätselhafter Bilderreigen und zugleich ein gigantischer Herrenwitz. Am Anfang übt sich ein schmächtiger, blonder Mann hektisch im Masturbieren – eine Kunst, die der streng katholisch erzogene Philosoph erst mit 29 Jahren erlernte. Draußen spielt eine in atemberaubende Hippie-Klamotten gewandete Band. Der Einsame lauscht, schaut, schließt sich endlich den anderen an. Während der ganzen 100 Theaterminuten fallen die Worte „Kommunismus“ oder „Marxismus“ kein einziges Mal. Althussers Philosophie ist in einer weiteren gewagten Gleichung aufgelöst: Kommunistische Partei (Althusser war Mitglied der KPF) gleich Männerbund gleich Rockband. „Althusser Rock“ ist schließlich keine wissenschaftliche Abhandlung, sondern ein Theater-Abenteuer, manchmal willkürlich, niemals langweilig.

Die Rockmusiker kaspern herum, rempeln einander an und prahlen während einer „Pressekonferenz“ mit Weibergeschichten. Die Fragen der Journalisten stehen im Programmheft, auf der Bühne werden die Antworten gegeben, zum Totlachen und dann plötzlich beklemmend. Durch das banale Gerede irrlichtern Zitate aus Althussers Biographie: wie sich seine prüde Mutter nach seinem ersten feuchten Traum die gelblich verfärbten Bettlaken besah. Wie er als erwachsener Mann davon träumte, ein Atom-U-Boot zu klauen. Wie er an jenem Novembertag seine Frau massierte, in kräftigen, V-förmigen Bewegungen, nur nicht wie sonst den Nacken, sondern die Kehle... So war Louis Althusser. Vielleicht. Miriam Hoffmeyer

„Althusser Rock“. In engl. Sprache. Bis So., 20.30 Uhr, Theater Zerbrochene Fenster, Schwiebusser Straße 16, Kreuzberg

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