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: Ausgelagerte Tagesspiegel-Innenschau

Früher haben wir uns regelmäßig über den Tagesspitzel und Tantenspiegel geärgert, gelegentlich auch mal mit seinem Logo eine richtigstellende „Entschuldigung“ verteilt – was den Tsp-Chef Franz Karl Maier jedesmal zu geharnischten „Richtigstellungen“ verleitete. Mit der Wende und dem Verkauf an den Düsseldorfer Dieter von Holtzbrinck, der gerade das „demokratische Nachwende-Intermezzo“ bei seiner Lausitzer Rundschau mit Entlassungen beendete, ist der Tagesspiegel nun vollends zum Regierungspropagandablatt geworden. Es traf sich Ende September, daß der neue Herausgeber einen Franz-Karl-Maier-Preis für verquaste Leitartikel vergab – zeitgleich mit einer Ausstellung über „50 Jahre Tagesspiegel“, zusammengestellt von Mitarbeitern der Mercator-Druckerei der Zeitung. Dieser Visualisierungsversuch, „den (Tagesspiegel-)Dingen auf den Grund“ zu gehen, thematisiert vor allem die Arbeitskämpfe der Metteure, Setzer und Drucker gegen Franz Karl Maier – dies unter anderem in Form von handgeschriebenen „Notausgaben“, die der schwäbisch-patriarchalische Jurist Maier herausgab, um nicht klein beizugeben. Immer wieder kam es zu Streiks, in denen die „Bereitschaftspolizei“ nicht nur massiv, mit Tränengas zum Beispiel, eingriff, sondern sich sogar als Streikbrecher zur Verfügung stellte. Einmal war die Nichtanerkennung der Arbeit der Belegschaftsvertreter der Anlaß, ein andermal ein Aufkleber, den ein Metteur an seinen Arbeitsplatz angebracht hatte: „Reagan verpiß dich! Keiner vermißt dich!“ Es gab sogar einen Ukas von Maier, mit dem er ein Fraternisierungsverbot seiner Redakteure mit den Produktionsarbeitern durchzusetzen versuchte. Flankierend dazu wurden – bis heute – „am liebsten rückgratlose junge Redakteure eingestellt“, wie ein Drucker meint. Ein ehemaliger Betriebsrat, der heute bei der Oberfinanzdirektion arbeitet, wo es sogar noch Bleisatz (für die Steuerformulare) gibt, erklärte dazu: „Maier witterte hinter jedem Busch Kommunisten! Einmal hatten wir intern einen Einheitslohn durchgesetzt, das hat Maier so gestunken, daß er unaufgefordert eine 20prozentige Lohnerhöhung gab, einige Kollegen waren tödlich beleidigt.“ Maier war spontan – „Wir pflegten zu sagen: Zwei Leute haben hier recht: Maier am Morgen und Maier am Abend. Und wir haben viel gelernt von ihm ...“

Vor allem in juristischer Hinsicht: Die meisten Kollisionen mit ihm endeten nämlich vor dem Arbeitsgericht. Einem Mercator- Drucker wurde versichert: „Es besteht keine Verpflichtung des Klägers zu einer positiven Arbeitseinstellung!“ Der als liberal geltende Leitartikler Mathes schrieb einmal, Maier hätte immerhin in fast allen Prozessen Recht bekommen! Der Betriebsrat rechnete daraufhin nach: Von 103 Arbeitsprozessen hatte Maier bis dahin 94 verloren, drei waren unentschieden ausgegangen und nur sechs hatte er – in Teilaspekten – gewonnen. Dabei mußte die rebellische Produktion auch noch ihre damalige IG Druck und Papier immer wieder zur „Solidarität“ „motivieren“, anders als zum Beispiel die Prostituierten auf der Potsdamer Straße, die den Mercator-Mitarbeitern 1976 für die Dauer ihres Arbeitskampfes von sich aus 25 Prozent Rabatt einräumten. Helmut Höge

wird fortgesetzt

Die Ausstellung findet in der neuen Galerie der IG Medien in der Tempelhofer Dudenstraße 10 statt. Am 27. 10. berichten Tagesspiegel-Mitarbeiter über das „Innenleben“, und am 7. 11. wird über die „Presse der neunziger Jahre“ diskutiert.