Huhu, liebes Wahlvolk!

■ Lutz Bertram meldet sich zurück: Der Ex-Frühstücksdirektor des ORB mit Stasi-Vergangenheit berät jetzt die PDS bei Medienfragen und redet wie ein Automat

„Wir werden hier sehr gut behandelt.“ Der Aufkleber an der Tür der Pressestelle der PDS im Karl-Liebknecht-Haus ist beileibe nicht ausladend. Drinnen schaut Karl Marx von der Wand, es wird berlinert. Lutz Bertram alias IM Romeo sitzt wohlaufgeräumt im Pressekämmerchen. Für einen Moment ist es still.

Bertram hat sich zurückgemeldet. Seit Anfang des Monats agiert der ehemalige „Frühstücksdirektor“ des Ostdeutschen Rundfunks Brandenburg (ORB) als Medienberater des Parteivorstands der PDS. „Sein Arbeitsplatz ist sein Kampfplatz für den Frieden“, tönt Hanno Harnisch, seines Zeichens Pressesprecher der PDS. Er weiß es genau: „Bertram ist im Nachwendejournalismus eine einzigartige Figur. Im Vorwendejournalismus war er ein schriller Musikredakteur und völlig unpolitisch.“ Möchte Bertram nun, politisch geworden, dem Parteivolke dienen?

Bis Anfang des Jahres moderierte der Vielredner seine allmorgendliche Sendung „Auftakt“: „Huhu, liebes Radiovolk.“ Als durchsickerte, daß er für die Stasi gelauscht hat, wurde er prompt gefeuert, was einen enormen Medienrummel auslöste. Dann verschwand Bertram von der Bildfläche. Nun quatscht er wieder, wie ein Automat, den man nicht abstellen kann.

Die Entscheidung des Parteivorsitzenden Lothar Bisky, ihn zu holen, ist nicht unumstritten. Auch wenn man hört, daß Bisky Bertram nicht unbedingt haben wollte und sich überreden ließ. Trotzdem kreidet es mancher dem blinden Moderator an, daß er nicht offensiv mit seiner Vergangenheit umgegangen ist. Zumal er selbst schonungslos mit der Vergangenheit anderer ins Gericht gegangen ist. Gregor Gysi attackierte er angesichts der IM-Vorwürfe: „Waren Sie nun oder waren Sie nicht... Ihre Hände zittern ja.“

In der „Berliner Linken“ empört sich ein Leserbriefschreiber: „Gleich dem ganzen PDS-Vorstand diese janusköpfige Gestalt als „Medienberater“ aufzunötigen halte ich für ein bißchen scham- und instinktlos.“

Was denken Parteiprominente? Parteivordenker André Brie fühlte sich übergangen. Mehr ist nicht zu erfahren. Und Angela Marquardt ist schon wieder aushäusig. Ihr zarter Referent beschwichtigt: Ihr Unmut gelte dem Verfahren. Die Einstellung des Beraters sei nicht breit diskutiert worden. „Ein interessantes Experiment“, sagt Petra Pau, die Berliner Pflanze. In Hochstimmung scheint außer Bertram keiner zu sein. Bezweifelt man etwa doch, daß Bertram, wie von ihm erwartet wird, der PDS einen besseren Zugang zu den elektronischen Medien verschaffen kann?

Artig übt Bisky Selbstkritik an seinem Alleingang. „Das Verfahren ist kritikwürdig, das nehme ich an.“ Das kleine PDS-Grüppchen im Westen kocht sein eigenes Süppchen. Wie er das denn finde, daß Bertram als Medienberater von seiner Partei unter Vertrag genommen wurde? „Mir ist das wurscht“, erklärt der Parteivorstand der PDS in Kreuzberg, Michael Prütz, frank und frei. „Wenn er Mitglied wäre, würde ich mich beschweren, weil ich nicht bereit bin hinzunehmen, daß Leute ihre Biographien verschweigen.“ Aber Bertram hat kein Parteibuch. Nein, er ist nur Medienberater des Parteivorstands und schwafelt davon, daß die Partei bunt sei und keine festen Strukturen habe.

Sei's drum. Bertram ist wieder obenauf. In seinem weißen Hemd und dem graublauen Seidenanzug sieht er aus, als ob er zu seiner eigenen Hochzeit erschienen wäre. Neben dem „schrägen Vogel“, nein dem „Paradiesvogel“ (das gefällt dem nicht Uneitlen besser), der sich von seinem Absturz scheinbar erholt hat, wirkt der Parteichef Bisky wie ein rechtschaffener Vater mit Arbeiterklassetouch.

„Ich stehe vor Ihnen – im übertragenen Sinne – splitternackt, ich habe meine Geschichte zwar in Portionen abgeliefert, aber sie ist komplett. Ich habe nichts mehr hinzuzufügen“, sagt Bertram. Und fügt hinzu: „Ich habe ein paar Dinge gründlich versprungen, ich hab' die Quittung dafür auch komplett kassiert.“ Lutz Bertram hat seine Fehler eingestanden, gebüßt. Alles scheint klar. Und da er kein Parteimitglied ist, „hat er uns gegenüber keine Rechenschaftspflicht“, sagt Bisky. Und plaudert aus dem Nähkästchen: „Ich suche Rat, weil ich nicht davon ausgehe, daß ich vollkommen bin.“ Was will Bertram tun? Die Auskünfte bleiben kryptisch: Ratschläge geben, Texte, vielleicht auch Reden schreiben. Womöglich Parteihappenings und Politperformances anstoßen? „May be.“

Bertram spricht vor allem in eigener Sache. Und faselt von einer 360-Grad-Beratung, er will „dem notorischen, ja bisweilen ins Böswillige gehende Zerrbild der PDS in der Presse“ entschieden entgegentreten.

Das Angebot von Bisky – oder von wem auch immer – stand schon Anfang des Jahres, als der Moderator, der die Technik des Enthüllens bei gleichzeitiger Verhüllung blendend beherrscht, noch stark angeschlagen war. Er habe lange überlegt, sich zwischendurch in Kalifornien („da ist es spitze“) sachkundig gemacht. Jetzt ist seine Stimme weniger dumpf und der Atem nicht mehr stockend, wie damals, als er seine eigene Abschiedssendung beim ORB gab. Jetzt ist der Himmel wieder blau. Zumindest an einem sonnigen Herbsttag. Inge Braun