Aus Rot-Grün gelernt?
: Kein „Bündnis“, sondern eine Koalition

■ taz-Serie zu den Erfahrungen aus der rot-grünen Koalition von 1989 / Walter Momper über die gewandelten Grünen und die ermutigenden Möglichkeiten der Zusammenarbeit

Der ehemalige SPD-Landesvorsitzende Walter Momper war von 1989 bis Ende 1990 Regierender Bürgermeister der rot- grünen Koalition. Foto: Karl Mittenzwei/G.A.F.F.

Wenn die SPD am 22. Oktober unter 30 Prozent rutschen sollte, ist es witzlos, rot-grüne Perspektiven zu entwickeln. Ohne eine starke SPD wird es Rot-Grün nicht geben. Ohne eine starke SPD wird keiner, dem das Herz links schlägt, einen Blumentopf gewinnen. Dann gibt es weitere vier Jahre Diepgen. Und Kohl bestimmt, wo die Parkbänke hinkommen.

Die SPD ist in Schwierigkeiten, und die Grünen suchen Abstand. Ein Mittel ist, daß Joschka Fischer jetzt auf dem Sofa von Kohl sitzt. Diese neckischen Freiübungen mit Schwarz-Grün erinnern durchaus an die FDP und an den Schwanz, der mit dem Hund zu wedeln versucht: So kann Politik auch sein.

Übersehen wird dabei nur, daß ohne ein Bündnis mit der Arbeitnehmerschaft – so mühsam das auch sein kann – es in der Bundesrepublik keinen Fortschritt gibt. Dieses Bündnis ist nur über die SPD zu haben.

Die FDPisierung der Grünen galoppiert. Gestern noch gewaltfrei und bejubelt, heute für militärische Intervention und immer noch bejubelt. Gestern noch in Sorge für Mensch und Umwelt, heute darf, wie Frau Schreyer in dieser Zeitung meint, kein Sozialdemokrat mehr Finanzsenator werden. Die Zertrümmerung des Sozialstaates ist eben mit Waigel und Möllemann in der Tat besser zu machen.

Die Grünen sind eine mit der SPD konkurrierende Partei. Da gibt es kein „Bündnis“, sondern eine Koalition nach intensiven Verhandlungen. Die rot-grünen Gespräche der Sozialdemokratischen Wählerinitiative „BB 2000“ haben gerade ausgelotet, daß es durchaus ermutigende Möglichkeiten der Zusammenarbeit gibt.

Natürlich würde es wieder Spaß machen, jenseits der Großen Koalition Politik zu machen. Die Kalten Krieger stünden der kulturellen Einheit der Stadt nicht mehr im Wege. Ohne die Autoideologen ließe sich über eine moderne Verkehrspolitik reden, die Mensch und Umwelt schont und den notwendigen Verkehr fließen läßt. Der Haushalt muß in den Griff genommen werden. Mit Pieroth war das nicht zu machen. Erfreut bin ich, daß die Polizei eine neue Wertschätzung auch bei den Grünen hat. So könnte auf intelligente Art Innere Sicherheit erzeugt werden.

Wir müssen neu über Bildung reden und brauchen viel Phantasie für gewandelte Formen von Leben und Arbeiten in der Stadt. Wir brauchen ein neues Nachdenken über Arbeitszeit und Freizeit, Familienarbeit und gesellschaftliches Engagement.

Das sind Felder, auf denen Rot und Grün Alternativen zu „Weiter so“ entwickeln könnten. Das sind Felder, auf denen sich gesellschaftliche Mehrheiten schmieden lassen, auf denen die CDU den Anschluß verpaßt hat oder im Unverständnis verharrt.

Die Grünen haben sich gewandelt. Sie sind zumindest teilweise weniger grün. Hinderlich ist sicherlich der ideologische Ballast, den viele noch mit sich herumtragen. Wenn Wohnungen fehlen, kann man Wohnungsbau nicht mit „Großprojekten“ denunzieren.

Natürlich brauchen wir Großunternehmen in der Stadt, selbst wenn man die Kapitalisten locken muß. Das ist in Berlin heute so.

Und für den wirtschaftlichen Konkurrenzkampf braucht diese Stadt einen neuen Großflughafen – auch um dermaleinst direkt in die Toskana fliegen zu können.

Rot-grüne Perspektiven galt es auszuloten. Das waren keine vorgezogenen Koalitionsverhandlungen. Dafür hat Ingrid Stahmer freie Hand und meine volle Unterstützung. Voraussetzung für alles ist, daß die Wählerinnen und Wähler es wollen. Für die Sozialdemokraten geht es nun um die Bündelung der Kräfte, um möglichst viel beeinflussen und gestalten zu können. Deshalb wählt nun mal schön – und zwar richtig! Walter Momper

wird fortgesetzt