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Käuzchen bei Edgar Wallace

Genrekino – in memoriam Ady Berber oder: Wie Blacky Fuchsberger und Karin Dor die Jugend gruselten. Der deutsche Kriminalfilm war eine sehr experimentelle Angelegenheit  ■ Von Kurt Scheel

So wie der geniale Verbrecher die Polizei foppt, indem er seine Visitenkarten am Tatort hinterläßt, so sah auch das Syndikat, das diese Filme produzierte, keinen Anlaß, im Verborgenen zu bleiben. „Rialto/Preben Philipsen“ stand frech auf der Leinwand, und Horst Wendlandt, der sich als Produzent dieser Edgar-Wallace- Filme (in Tateinheit mit den Regisseuren Reinl und Vohrer) unauslöschlich ins deutsche Filmschaffen eingeschrieben, ja eingeätzt hat, sah keinen Anlaß zu Schutzbehauptungen zu greifen wie „man habe Schlimmeres verhüten wollen“ beziehungsweise „von nichts gewußt“.

Das waren eben die frühen sechziger Jahre. Papas Kino regierte adenauerartig unangefochten, Willy Brandts und Alexander Kluges Machtübernahme („Mehr Demokratie wagen!“) lag in weiter Ferne – das waren andere Zeiten, nichts von Erinnerungskultur und Trauerarbeit! „Mach dir ein paar schöne Stunden, geh ins Kino“, lautete die Devise, und wer sich ausschloß, machte sich verdächtig!

Aber es gab natürlich auch schöne Momente. Wenn am Anfang das MG rattert, die Leinwand sich blutrot einfärbt, und dann die Stimme erschallt: „Hier schpricht Edgar Wolleß“, gefolgt von diesem höllischen Gelächter – dann kuschelten wir uns aneinander und wußten, daß wir für drei Mark Eintritt einen ehrlichen Beschiß erwarten durften.

Im nachhinein will es mir unglaublich erscheinen, daß die westdeutschen Kinos von 1959 bis zum annus mirabilis 1968 fest im Würgegriff dieser Serie war, mehr als 30 Filme, und die amerikanischen Befreier konnten wohl die Großstadtkinos entsetzen, aber hier auf dem platten Lande, in den „Altenwerder Lichtspielen“, führten weiterhin Siegfried Schürenberg und Werner Peters, Klaus Kinski und Wolfgang Wahl, Elisabeth Flickenschildt und Mady Rahl das große Wort. Was für Zeiten!

Warum war die Serie so erfolgreich? Daß dies absoluter Schrott war – der Plot, die Schauspieler, die Kamera, die ganze Inszenierung –, konnte man ja selbst in den Dörfern und Gemeinden dieser freiheitlichsten Bundesrepublik auf deutschem Boden nicht übersehen. Natürlich, ein Grund war der Charme jeder Serie: Man kennt die Figuren und die Situationen und muß nicht mit bösen Überraschungen rechnen, die tröstliche Wiederkehr des Immergleichen also, die tiefenpsychologisch gesehen offenbar die Furcht des Publikums vor radikalen Veränderungen – letztlich dem Tod – besänftigt beziehungsweise einlullt. Wer Blacky Fuchsberger und Heinz Drache jahrelang furchtlos ins Kommissarauge geschaut hat, der mag zu Recht ausrufen: Tod, wo ist dein Stachel? Aber trotzdem: Nicht jeder Scheiß ist ja so erfolgreich wie der Wallacesche. Warum also?

Wie schon oben angedeutet, muß das etwas mit der Politik, dem Zeitgeist der sechziger Jahre zu tun haben: Attentismus, mit einem Wort. Adenauers Ära ging offensichtlich zu Ende, ohne daß zu erkennen gewesen wäre, wohin die Reise führt. Utopieverlust: Es ging den Deutschen ja gut, in gewisser Weise; aber nichts tat sich. Volk ohne Zukunft, jedoch mit großer Gemütlichkeit. Die Reaktion auf diese gesamtgesellschaftliche, sozioökonomische Situation – beklagenswert, aber nichts weniger als verständlich –: kollektiver Masochismus. Die extreme Schrottigkeit der Edgar-Wallace-Filme, so meine Hypothese, war eine notwendige Bedingung ihrer Beliebtheit, widerspiegelungstheoretisch (Basis/Überbau) durchaus in Lukácsschen Kategorien zu fassen.

Eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung. Dieser sozusagen deutschen Grundsituation wurde nun wiederum durch die britische Atmosphäre (Big Ben, Sir John, Dartmoor, Scotland Yard, Doppeldeckerbusse und Linksverkehr) der Stachel gezogen, es ergab sich eine intrikate Vermischung von Heimat, ja Enge cum Weltläufigkeit, ja Internationalität. Verschmelzung von (eigentlich) Unvereinbarem, schon in der Grundstimmung der Filme! Ganz richtig kennzeichnet das Rowohlt-Filmlexikon die Serie als „komisch-gruselig“, ein permanentes Wechselbad von Gräßlichem (unvergeßlich, wenn sich in „Die Bande des Schreckens“, 1960, die krallenartig halbgeöffnete Hand der Flickenschildt Rache heischend und sauber angestrahlt dräuend erhebt) und Lustigem (Eddi Arent als Polizeifotograf, der keine Leichen sehen kann und bei Ausübung seiner Tätigkeit immer ohnmächtig wird).

Und weiter: Eine Krimihandlung, die verzwickt ist und dem Publikum die Auflösung nicht leicht macht (manchmal soll erst beim Schnitt der Mörderchef ausgeguckt worden sein), auf der anderen Seite aber eine zarte Liebesgeschichte zwischen dem Kommissar und der jeweiligen verfolgten Unschuld/Erbin (Karin Dor, Barbara Rütting, Karin Baal, Uschi Glas).

Edgar-Wallace-Filme zeichneten sich gegenüber amerikanischen Krimis, die in der Regel stromlinienförmig sind und das Experiment scheuen, also dadurch aus, daß sie die Genregrenzen in Frage stellten beziehungsweise bewußt überschritten, insofern durchaus als eine frühe Form des deutschen Autorenfilms und des Projektes der „Sehgewohnheitenveränderung“ (Godard beziehungsweise W. Schütte) angesehen werden können.

Ohne daß auf einer kruden Ebene „Politik“ eine Rolle spielte, waren diese Filme hochpolitisch. Eine Form des Eskapismus, der durch seine Brüche, seine „Fehler“, die häufig sicher unfreiwillig waren, gleichwohl sozusagen hinter dem Rücken der auteurs ein Schlaglicht warf auf diese Adenauer-Republik, ein Urteil sprach, das trotz aller vordergründigen Bonhomie kein Blatt vor den Mund nahm: Diese Mischung aus Fuchsberger, Dor und Schürenberg – so sind die Deutschen, das seid ihr, Publikum!

Von daher wird auch verständlich, daß nach Erhard und Kiesinger, daß mit der sozialliberalen Koalition und dem Jungen Deutschen Film, kurz: daß mit der Studentenbewegung diese große Zeit zu Ende war.

Nun mußte man nicht mehr mit verstellter Stimme sprechen, nun erhob eine junge, kämpferische Generation lautstark das Wort, nun konnte der Muff von tausend Jahren gegeißelt beziehungsweise eingeklagt werden – Rudi Dutschke und Herbert Marcuse, Fritz Teufel und Rainer Langhans, Uschi Obermeier und Uschi Nerke waren auch, und das muß nach dem Zusammenbruch des Sozialismus ohne jeden Alarmismus festgestellt werden können, Totengräber des Edgar-Wallace-Films. Hier geht es nicht um Schuldzuweisungen, aber nie wieder gab es seitdem Filme, auch nicht in diesem größeren Deutschland, die opake, ja poetische Titel trugen wie „Der Frosch mit der Maske“, „Der grüne Bogenschütze“, „Die toten Augen von London“, „Die Gruft mit dem Rätselschloß“, „Der Bucklige von Soho“ – tempi passati!

Gemütlicher Schrecken, das war das Geheimnis dieser Filme. Und wenn dann, meistens am Anfang, eine dunkle Gestalt durch einen nächtlichen Park streifte, der hundsmiserabel schlecht durch seitliche Scheinwerferbatterien strahlend hell ausgeleuchtet war, und wenn dann das obligatorische Edgar-Wallace-Käuzchen „Huu- huu“, Huu-huu“ schrie, dann war mir schlagartig und wehmutsvoll klar, daß ich meinen Traumjob nie würde erlangen können: Käuzchen bei Edgar Wallace.

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