"Auf keinen Fall wollten wir eine Karikatur"

■ Man kann nicht einfach fortgehen und zynisch sein: Der britische Regisseur Ken Loach im Interview zu "Land und Freiheit" über natürliche Schauspielkunst, die Hoffnungen der Nachkriegsgeneration

taz: Ihr Film über den Spanischen Bürgerkrieg läuft vielen Erwartungen zuwider. Warum stellen Sie ausgerechnet diesen fast vergessenen Aspekt, die Auseinandersetzungen um die Landreform, in den Mittelpunkt?

Ken Loach: Weil ich denke, wir sollten diese Geschichte in Erinnerung behalten. Nicht in einem akademischen Sinne, sondern als ein Moment großer Hoffnung. Nachdem Generationen auf fremdem Boden ausgebeutet wurden, nahmen die Menschen sich die Freiheit heraus, zu sagen: „Dieses Land gehört uns!“ Diese Kollektivierungen waren der Höhepunkt des gesamten Bürgerkrieges. Wir wollten sie feiern und zugleich erklären, warum diese wichtigste Aktion des Krieges schließlich doch gescheitert ist.

Welche persönlichen Beziehungen haben Sie als britischer Regisseur zu diesem Krieg?

Ich bin, wie viele meiner Freunde, in den sechziger Jahren zur Politik gekommen. Der Spanische Bürgerkrieg hat dabei immer eine große Rolle gespielt. Zunächst, weil sich hier die tätige Solidarität der Arbeiter gezeigt hatte. Später erkannten wir, daß es innerhalb dieses Bürgerkrieges eine Revolution gegeben hatte. Über den Bürgerkrieg wurde die Revolution vergessen, auch in Spanien selbst, und daran wollten wir erinnern.

„Land und Freiheit“ setzt vor den Hintergrund dieser gescheiterten Revolution eine tragische Liebesgeschichte. Warum haben Sie diese Story entwickelt?

Für mich ist es wichtig, durch die Geschichte einen persönlichen Bezug zu finden, in der sich all die Konflikte spiegeln, so daß keine Lektion, keine didaktische Szene notwendig ist – und trotzdem jeder durch die Beziehung zu den Figuren der Argumentation folgen kann.

Wie in vielen Ihrer Filme verblüfft auch „Land und Freiheit“ durch die Natürlichkeit der Darstellung. Die Diskussion über die Landreform etwa wirkt, als wäre sie auf einer realen Versammlung mit versteckter Kamera aufgenommen worden. Gab es ein dazugehöriges Skript oder wurde improvisiert?

Es war eine Mischung von beidem. Die Leute stammen alle aus der Region, ihre Väter und Großväter hätten alle in dieser Situation sein können. Dementsprechend war ihr Verhältnis sehr einfühlsam. Nur die Sätze für Tom, der Hauptfigur der Szene, waren aufgeschrieben – aber auch der mußte sich mit seinen fertigen Dialogsätzen in der Diskussion durchsetzen.

In Ihrem Film preisen Sie die internationale Solidarität und die Kollektivierungen in Spanien als Beweise für die Chance eines demokratischen Kommunismus. Sind diese Hoffnungen inzwischen nicht durch die Realität erledigt worden?

Ich denke, es muß noch eine Möglichkeit geben. Schauen Sie sich um: Wir haben allein in Europa mehr als 20 Millionen Arbeitslose. Früher oder später muß es eine Chance für Veränderung geben. Die Frage ist nur, was haben wir bis dahin gelernt? Was können wir lernen aus Spanien, aus der Oktoberrevolution, aus Nicaragua?

Im Osten werden viele Ihre Botschaft mit Skepsis hören. Die Losung „Keine Experimente“ war dort ein Motor der schnellen Vereinigung.

Ich will ihnen mit meinem Film ja gerade sagen: Es gibt eine Linke außerhalb dessen, was ihr erlebt habt. In den sechziger Jahren war die Linke in Westeuropa antistalinistisch. Als die Mauer dann fiel, waren wir nicht sehr überrascht, weil wir das erwartet und erhofft hatten. Die Kapitalisten im Westen haben behauptet: „Seht her, der Sozialismus ist zerstört!“ Aus unserer Sicht war das nie Sozialismus.

In „Land und Freiheit“ ersticken die Stalinisten den kurzen, spanischen Traum vom demokratischen Sozialismus. Idealisieren Sie dabei nicht zu sehr die Gegenseite? Die sozialistisch orientierten POUM-Leute erscheinen fast durchweg als reine Engel der Revolution.

Wir haben versucht, jedem ein menschliches Gesicht zu geben. Für den Amerikaner zum Beispiel, der die POUM im Zorn verläßt, haben wir einen sehr sympathischen Darsteller ausgesucht. Auf keinen Fall wollten wir eine Karikatur. Am Ende ist er sehr verzweifelt, sehr wütend, aber er ist kein hartherziger, bösartiger Typ. Jeder sollte in diesem Film menschlich erscheinen.

Wie kann ein idealistisch gestimmter Regisseur in einem vom Geld beherrschten Geschäft wie dem Film bestehen, ohne zynisch zu werden?

Genug Leute wollen meine Filme sehen, um sie kommerziell möglich zu machen. Die Gefahr ist nur, daß man zu einer Art Hofnarr wird, den man toleriert. Einmal im Jahr macht man einen radikalen Film, sie erheben die geballte Faust, gratulieren dir und sagen: Schöner Film, wir werden etwas Geld damit machen und einen neuen drehen.

Als wir „Land und Freiheit“ machten, trafen wir viele Leute, die im Bürgerkrieg gekämpft hatten. Eine alte Frau, die jetzt einen Gemüsestand auf dem Markt von Barcelona hat, war bei den Anarchisten. Wenn sie spricht, ist es so, als kämpfe sie noch immer, lebendig und leidenschaftlich. Da kann man nicht einfach fortgehen und zynisch sein. Es gibt überall Leute, die sich trotz ihrer Armut organisieren und kämpfen. Als Filmemacher hat man die Verantwortung, das zu zeigen. Interview: Knut Elstermann