„Ein Sexualmonster“

■ Die Internistin Silva Bino diskutiert Aids und Prostitution und bricht die Konventionen

taz: Sie haben sich auf die Behandlung sexuell übertragbarer Krankheiten spezialisiert?

Silva Bino: Ich habe Medizin studiert. Dann machte ich mit Epidemiologie weiter, absolvierte ein Examen nach dem anderen, auch im Bereich STD, Sexual Transmitted Diseases. Das dauerte zwölf Jahre. Jetzt darf ich endlich auch unterrichten. In den Augen der Kollegen wurde ich zu einer Art Sexualmonster.

Erschrecken Sie die?

Albanien ist ein muslimisches Land, und unsere Männer sind sehr konventionell. Da ist das Thema Sexualität den Frauen verboten. Ich hoffe, daß sich das langsam ändert. In den Schulen wird jetzt gerade mit Sexualerziehung begonnen. Vielleicht gewöhnen sich die Leute an dieses Wort. Bislang war es ein Tabuwort.

Jetzt sprechen die Frauen über ihre Sexualität?

Wir wissen immer noch viel zuwenig über ihr Denken und ihr sexuelles Verhalten. Erst vor kurzem hat unsere Frauenorganisation eine kleine Umfrage gestartet, über die Beziehungen in der Familie, zwischen Frau und Mann, und zu den Schwiegermüttern. Wir haben herausgefunden, daß 60 Prozent der albanischen Frauen ihren ersten Geschlechtsverkehr vor der Heirat hatten, und zwar nicht mit ihrem späteren Ehemann. Das war interessant, weil unsere Gesellschaft konservativ ist. Aber vielleicht ist doch alles nur Fassade.

Wenn Sie über STD reden, müssen Sie auch über Homosexualität oder Prostitution sprechen.

Die Homosexuellen sind ganz gut organisiert und informiert. Sie wissen, wie sie sich schützen müssen. Die freie Organisation „Stop Aids“, unterstützt sie. Mit den Prostituierten ist es problematischer. Ich tue mich da selbst schwer. Es werden mehr, manche verlassen Albanien, junge Frauen werden verschifft, manche kommen auch wieder zurück. Aber wir kommen kaum an sie heran. Ich habe keine Ahnung, wie wir das in den Griff kriegen sollen. Vielleicht helfen uns spezielle Häuser für Prostituierte, so daß wir sie besser kontrollieren können und damit auch die Verbreitung von sexuell übertragbaren Krankheiten. Aber die Mentalität verbietet es, solche Dinge überhaupt wahrzunehmen. Ich selbst mag Prostitution auch nicht. Es ist illegal, und ich finde, auch der Staat muß da etwas tun.

Soll die Regierung wieder mehr kontrollieren?

Früher haben wir funktioniert wie Maschinen. Aber früher waren die Frauen auch viel mehr geschützt durch den Staat. Ähnlich wie in Ostdeutschland. Sie haben ihr eigenes Geld verdient, sie haben ihren Lebensunterhalt selbst bestritten. Eine Frau zu entlassen war sehr schwierig. Jetzt sind viele arbeitslos und verlieren ihr Gesicht.

Was wollen Sie tun?

Ich möchte die Leute über die Gefahren von Aids und anderen sexuell übertragbaren Krankheiten informieren. Ich will vor allem auch die Leute, die unser Land verlassen haben, informieren. Viele unserer Emigranten sind in Griechenland, viele sind in Italien, manche in Deutschland. Ich würde gerne ein Programm aufbauen, das sich „Aids Mobility“ nennt. Um die Emigranten aus Albanien zu erreichen, um sie zu informieren, sie aufzuklären. So komisch es klingt, aber wir müssen ihnen mit der Sexualerziehung „hinterherreisen“. Interview: Silvia Plahl