Die Frauen zum Reden bringen

Zu den heiklen Kapiteln der Aufarbeitung des Völkermordes in Ruanda gehören die Vergewaltigungen – denn die Opfer können vor Gericht aussagen  ■ Von Jutta Lietsch

Gut ein Jahr nach dem Völkermord kämpfen die Menschen in Ruanda mit der Qual der Erinnerung. Die Menschen in Ruanda – das sind heute zu 70 Prozent Frauen, denn es wurden viel mehr Männer als Frauen umgebracht. Unter den zurückgekehrten Flüchtlingen beträgt der Frauenanteil vier Fünftel.

Mindestens die Hälfte von Ruandas Frauen sind Schätzungen zufolge vergewaltigt worden. Das Ausmaß und die „Technologie“ der Vergewaltigungen übersteige die Vorstellungskraft, sagt Felicité Lakika, die als Vertreterin ruandischer Frauenorganisationen bei der Weltfrauenkonferenz in Peking war: Mädchen und Frauen wurden „mit dem Messer, mit dem Bajonett, mit Holzstücken, mit Säure, mit Pfeffer oder kochendem Wasser“ gefoltert – vor den Augen ihrer Familien, ihrer Kinder und Nachbarn. Die Täter schnitten Frauen die Brüste ab und Schwangeren die ungeborenen Kinder aus dem Leib. Und auch in den Flüchtlingslagern im Ausland wird vergewaltigt.

Bis heute kommen „Kinder des Hasses“ zur Welt – in einem Land, in dem es nur noch zwei einheimische GynäkologInnen gibt und in dem die mächtige katholische Kirche dafür gesorgt hat, daß Abtreibung verboten ist. Und vor dem Völkermord waren Schätzungen zufolge 35 Prozent der ruandischen Soldaten HIV-infiziert.

Während in anderen Ländern systematische Vergewaltigungen durch Soldaten tabuisiert werden, kommt in Ruanda niemand auf die Idee, die Vergewaltigungen zu bestreiten. „Jeder weiß es. Die Vergewaltigungen waren zu verbreitet. Man konnte sie weder übersehen noch leugnen“, heißt es im neuen Report einer Genfer Juristinnen-Organisation.*

Doch das schützt die Betroffenen nicht vor Erniedrigungen. „Sie sind dreifach von der Gesellschaft bestraft“, berichtete Felicité Lakika in Peking: Sie verloren ihre Familien, sie wurden vergewaltigt – und als Ergebnis „werden sie beschuldigt oder verdächtigt, ihre Sexualität benutzt zu haben, indem sie ihren Körper verkauften, um ihr Leben zu retten, während ihre Männer und Kinder starben.“

Den Körper verkauft, um das Leben zu retten?

Nun richtet sich die Hoffnung auf das von den Vereinten Nationen beschlossene Ruanda-Völkermordtribunal. Seine sechs Richter – darunter nur eine Frau, die Südafrikanerin Navanethem Pillay – werden voraussichtlich ab Juni oder Juli kommenden Jahres in der tansanischen Stadt Arusha über Kriegsverbrechen richten, die zwischen dem 1. Januar und 31. Dezember 1994 in Ruanda verübt wurden (siehe taz vom 14. 9., Seite 10). Diese zeitliche Begrenzung – die es beim Jugoslawien-Tribunal nicht gibt – ist auf Kritik internationaler Organisationen gestoßen, denn Kriegsverbrechen gab es in Ruanda schon vorher, und Verbrechen im Zusammenhang mit dem Völkermord sind auch nach 1994 noch geschehen.

Anders als im Jugoslawien-Tribunal sehen die Regeln des Ruanda-Tribunals vor, daß ein Vergewaltiger allein aufgrund der Aussage seines Opfers ohne weitere Zeugenaussagen verurteilt werden darf. Doch Elenor Richter-Lyonette von der Genfer „Coordination of Womens Advocacy“ fürchtet, daß viele Täter davonkommen. Denn UNO-Beauftragte, die in Ruanda Zeugenaussagen für das Tribunal sammeln, erklärten ihr, Vergewaltigungen seien zu schwierig zu dokumentieren und gehörten zu den weniger wichtigen Verbrechen angesichts all der „wirklich harten Dinge“. Dazu gehören auch die von Frauen verübten Morde, die in ihrer Grausamkeit den Taten der Männer nicht nachstanden.** Es ist zu erwarten, daß unter den Angeklagten des UNO- Tribunals auch Frauen sein werden. Das darf aber nach Ansicht von Beobachterinnen nicht den Blick auf die systematischen Vergewaltigungen trüben.

Wie können die Zeugen und Zeuginnen, die vor dem Tribunal aussagen wollen, geschützt werden? Die Täter laufen frei herum, und je länger es bis zum Prozeßbeginn dauert, desto eher ziehen die ZeugInnen nach den Erfahrungen des Jugoslawien-Tribunals ihre Aussagen zurück, weil sie bedroht werden. Dazu kommt, daß die Verhandlungen nicht in Ruanda, sondern im Nachbarland Tansania stattfinden werden. Für Elenor Richter-Lyonette bedeutet dies eine noch stärkere Gefährdung: Wer aus Ruanda extra zum Prozeßort reist, ist leicht zu identifizieren. Die Genfer Juristinnenorganisation erarbeitet jetzt gemeinsam mit afrikanischen und europäischen Organisationen Modelle für einen effektiven Zeugenschutz.

*„Mission on Gender-Based War Crimes against Women and Girls During the Genocide in Rwanda“ von Elenor Richter-Lyonette, erhältlich bei „The Coordination of Womens Advocacy“, Ancien-College, CH-1271 Givrins, Schweiz

**„Rwanda: Not So Innocent – When Women Become Killers“, African Rights, 1995