Keinen Eid auf die Queen

600 Tage vor der Rückgabe Hongkongs an China schwindet die Macht des Gouverneurs. Die Amtszeit des Parlaments ist kurz  ■ Aus Hongkong Catherine Sampson

Hongkongs Gouverneur Chris Patten hat die chinesische Regierung gestern beschworen, das Parlament der britischen Kolonie im Jahr 1997 nicht aufzulösen, wenn diese wieder unter die Herrschaft Pekings fällt. Der Hongkonger „Legislativrat“ sei in Übereinstimmung mit der von China verabschiedeten Mini-Verfassung für Hongkong gewählt worden, sagte er gestern bei seiner jährlichen Regierungsansprache. Daher müsse das Parlament eine normale Amtszeit von vier Jahren arbeiten können, also bis 1999. „Jede andere Entwicklung wäre schädlich für Hongkong und für die Chance eines reibungslosen Übergangs unter die chinesische Oberhohheit“, sagte er vor den Abgeordneten.

In wenig mehr als 600 Tagen findet die Übergabe statt. Erstmals sind die im September gewählten Abgeordneten nicht mehr auf die britische Königin vereidigt worden, sondern auf die Gesetze von Hongkong. Patten, der sich wegen seiner demokratischen Reformen in der Kolonie bei den Pekinger Politikern höchst unbeliebt gemacht hat, forderte die Bevölkerung von Hongkong auf, ihre Rechte und Freiheiten zu verteidigen: „Hongkong wird wachsen und erfolgreich sein in Freiheit, Stabilität und Anstand – vorausgesetzt, seine BürgerInnen haben den Willen und das Selbstvertrauen, zu erkennen, daß die Werte, die Hongkong groß gemacht haben, die Werte der Zukunft in Asien und der gesamten Welt sind“, erklärte Patten. „Die Zukunft liegt bei jenen, die die Ergreifung wirtschaftlicher Chancen mit menschlicher Würde und Freiheit verbinden können.“

Der Hongkonger Gouverneur forderte die Politiker in Peking auf, mit den Vertretern der Legislative ins Gespräch zu kommen – auch mit den demokratisch orientierten PolitikerInnen, die ihnen so mißfallen –, um Hongkong verstehen zu lernen.

Erst in der vergangenen Woche war Chinas Premier Li Peng in den Chor der chinesischen Politiker eingefallen, die erklärt haben, daß der neue Legislativrat 1997 außer Kraft gesetzt wird. Sie sind verärgert, weil Patten das Hongkonger Wahlsystem demokratisiert hat, was dazu beitrug, daß die China- kritischen Befürworter einer repräsentativen Demokratie mit überwältigender Mehrheit gewannen.

Die chinesische Führung hat angekündigt, daß sie im kommenden Jahr eine „Provisorische Legislative“ einsetzen will, die ab 1. Juli 1997 an die Stelle des Legislativrates treten soll. Irgendwann später – ein Termin wurde nicht genannt – sollen dann Neuwahlen stattfinden, allerdings unter eingeschränkten Bedingungen. Auf die Frage von Journalisten, ob er „freundschaftlich auf diese Provisorische Legislative zugehen“ werde, hatte der Gouverneur bislang geantwortet, es gäbe keinen Bedarf für ein solches Gremium.

Bei seiner gestrigen Ansprache gab er sich jedoch weniger abweisend: Er werde mit seiner Nachfolgerin zusammenarbeiten, die voraussichtlich im kommenden Jahr von Peking ernannt wird, sagte er. Und er wolle auch mit dem Vorbereitungskomitee kooperieren, das im Auftrag Chinas den Weg zur Übergabe 1997 ebnen soll. Für diese Zusammenarbeit soll ein eigenes Verbindungsbüro in Hongkong eingerichtet werden.

BeobachterInnen glauben, daß die Ernennung einer designierten Regierungschefin und des Vorbereitungskomitees die faktische Entmachtung Pattens und seiner Verwaltung bedeuten wird, schon vor der formellen Entlassung der Kolonie aus britischer Hohheit. Dennoch hat ein neues Übereinkommen vom Anfang Oktober in London, das bei einem Besuch des chinesischen Außenministers Qian Qichen erzielt wurde, die gereizten Nerven in Peking und London besänftigt. In Hongkong aber wurde es mit gemischten Gefühlen aufgenommen: Ein Tauwetter zwischen den Regierungen Chinas und Britanniens könnte dazu führen, daß die britische „Kotau-Politik“ der Vergangenheit wieder aufgenommen wird, fürchten AktivistInnen der demokratischen Gruppen. Die Geschäftswelt aber begrüßt die Aussicht auf Entspannung.