Sieg der Wirtschaft über die Umwelt

■ Das „Umweltgesetzbuch“ sollte eigentlich die grünen Gesetze aufwerten – der BUND kritisiert es als Rückschritt

Bonn (taz) – Seit vielen Jahren fordern Umweltgruppen in Deutschland eine Zusammenfassung der verstreuten Umweltbestimmungen in einem Gesetzbuch für Umweltrecht. Jetzt haben acht Umweltprofessoren im Auftrag der Bundesregierung einen Entwurf für ein Umweltgesetzbuch vorgelegt, der nun zum Gesetz fortentwickelt und im Jahr 2000 in Kraft treten soll.

Doch dieses „Jahrhundertwerk deutschen Umweltrechts“, wie es der ehemalige Umweltminister Töpfer nannte, droht nun „zur Schlappe des Jahrhunderts für die Umwelt“ zu werden. So zumindest bezeichnete der BUND-Vorsitzende Hubert Weinzierl den Entwurf gestern in Bonn. Es sei ein „Bündel unzureichender Vorschriften“, in dem ganz entscheidende Themen wie das Gentechnikrecht, das Verkehrsrecht und das Recht raumbeanspruchender Infrastruktur (wie Überlandleitungen und Funknetze) einfach ausgeklammert würden.

Möglichst viele Bereich sollen so aus dem Bereich Umwelt in den Bereich Wirtschaft verlagert werden. Regierung und Industrie versprechen sich davon niedrigere Standards. Weinzierl kritisierte außerdem, daß der Professorenentwurf aus dem Eigentum an einem Grundstück die Berechtigung zur Nutzung von Naturgütern ableite und nicht, wie dies vom BUND gefordert wird, Umweltgüter einer staatlichen Zuteilung anvertraut werden.

Von einer Umweltabgabe fände sich kein einziges Wort, so Weinzierl. Das sei zu Zeiten, in denen sich eine Öko-Steuer in der einen oder anderen Form in fast allen Parteiprogrammen fände, besonders bedauerlich. Von einer „nachhaltigen Wirtschaftspolitik“, wie der BUND sie schon lange fordert, ist in dem Entwurf ebensowenig die Rede wie von einem umweltgerechten Stoffrecht. Immer noch konzentriert man sich auf die Reparatur offensichtlicher Probleme: „An das Ende der Abwasserrohre setzt man Kläranlagen, an die Schornsteine Filter und unter den Abfall Dichtungsbahnen.“ Diese begrenzte Sichtweise ist nach Ansicht des BUND eine Sackgasse.

Doch selbst dieser „völlig unzureichende Entwurf“ wird durch Deregulierungs- und Beschleunigungsgesetze, die von der Bundesregierung vorbereitet werden, laut Weinzierl „endgültig ad absurdum geführt“. Beispielsweise sollten die Verfahren zur Genehmigung von Müllverbrennungsanlagen, Chemiefabriken und Kraftwerken, so sieht es die Initiative der Bundesregierung vor, vorrangig als „Dienstleistung für den Investor“ betrachtet werden, um den Wirtschaftsstandort Deutschland attraktiver zu machen. Künftig können Anlagen schon mal vor Ende des Genehmigungsverfahrens laufen, wenn ein „berechtigtes Interesse“ des Betreibers vorliegt.

„Die teilweise Abschaffung der Genehmigungspflicht zugunsten freiwilliger Maßnahmen führt dazu, daß Betroffene ihre Rechte nicht mehr wirksam durchsetzen können“, beklagte Weinzierl. Damit falle das Umweltrecht auf den Stand der 60er Jahre zurück, die Errungenschaften der letzten 30 Jahre – Beteiligungsrechte der BürgerInnen bei Planungen und Klagerechte vor den Verwaltungsgerichten – sollen „offensichtlich aus den Gesetzen eliminiert werden“.

Dieser „Sieg der Wirtschaft über die Umwelt“ sei nicht nur „demokratiefeindlich“, die Bundesregierung werfe damit auch zentrale verfassungsrechtliche Prinzipien über Bord. Volker Weidermann