Gewißheiten gibt es im Solinger Mordprozeß nicht

■ Das Urteil wegen des Brandanschlages fällt am Freitag. Sachbeweise gibt es keine, eine mögliche Verurteilung kann sich nur auf ein widerrufenes Geständnis stützen

Düsseldorf (taz) – „Christian ist am 28. Mai nicht gut drauf. Er will Randale machen, um den Türken einen Schrecken einzujagen. Um ein Feuerchen zu machen, zündelt er mit den mitgebrachten Zeitungen“. Nach gut einem dutzend anderslautenden Tatversionen seines Mandanten bietet Verteidiger Paul Gerd Henke in seinem Plädoyer nun diese Variante zur Aufklärung des folgenschweren Solinger Brandanschlags an.

Christian R. (19) ein Einzeltäter? Nun, selbst Henke räumt „Zweifel“ an dieser Version ein, aber „sie bleibt letztlich nur übrig, um überhaupt einen mutmaßlichen Täter von Solingen dingfest zu machen“.

Durmus Genç, der in der Nacht zum Pfingstsamstag 1993, zwei seiner Kinder, zwei Enkel und eine Nichte auf grausamste Weise verloren hat, sieht das ganz anders: „Nach der langen Beweisaufnahme sind wir überzeugt, daß die Verbrecher, die uns dieses Leid angetan haben, auf der Anklagebank sitzen.“ Schuld oder Unschuld, diese Frage spaltet nicht nur die Prozeßbeteiligten.

Auch bei den Medienvertretern tobt dieser Streit nun schon seit bald zwei Jahren. Im „Kritischen Tagebuch“ des WDR-Hörfunks wurden die Angeklagten Felix K. (18), Christian B. (22) und der zur Tatzeit einzige Erwachsene, Markus Gartmann, schon längst freigesprochen: „Daß die drei an der Tat nicht beteiligt gewesen sein können, ergibt sich aus ihren Aktivitäten während der Brandnacht“.

Nach 18monatiger Prozeßdauer zeigt sich indes ein anderes Bild. Vom vermeintlichen Alibi des nächtlichen Zeugen Karsten H. blieb in der Hauptverhandlung nichts übrig. Auch der von den Verteidigern ins Feld geführte Bericht der Solinger Feuerwehr brachte keine Entlastung. Im Prozeß wurde um den genauen Brandlegungszeitpunkt monatelang gerungen.

Unglaubliche Fehler leistete sich der Brandsachverständige Corall. Der vermischte Proben aus dem Brandschutt so fehlerhaft, daß sie zur Bestimmung des Brandbeschleunigers nicht taugten. Doch das Brandspurenbild im Hauseingang, der Brandtrichter, die Abplatzungen auf dem Fliesenboden und die von Zeugen geschilderte rasante Ausbreitungsgeschwindigkeit des Feuers sprechen gleichwohl für den Einsatz eines Brandbeschleunigers. Ganz gewiß paßt dieses Brandspurenbild aber nicht zu der Version vom „Zündeln mit Zeitungen“.

Sachbeweise, die die Angeklagten der Tat überführen könnten, gibt es indes nicht. Warum sind sie dann in Haft? Weil Markus Gartmann im Polizeiverhör am 3. 6. 93 gestand, zusammen mit den anderen drei die Tat begangen zu haben. Bis zum 80. Verhandlungstag blieb er im Prozeß bei diesem Geständnis, um dann erneut seine Unschuld zu beteuern.

Eine wichtige Grundlage für den Haftbefehl gegen die drei bildete das Geständnis des zuerst festgenommenen Christian R., der darin Details mitteilte, die er nur als Täter oder durch Vorhalte der Polizei wissen konnte. Wegen der Bedeutung dieses Aussagen rief der Haftrichter seinerzeit direkt beim Leiter der BKA-Sonderkommission, Paul Kröschel, an, der ihm versicherte, daß die Polizeivernehmer Christian R. keine entsprechende Vorhalte gemacht hätten. Im Gerichtssaal wiederholte Kröschel seine Aussage, während eine weitere BKA-Beamtin sich nicht festlegen mochte: „Es ist alles möglich“.

Später schilderte dann ein Wuppertaler Kripobeamter, er sei damals in die Vernehmung „hereingeplatzt“ und habe dabei auch Einzelheiten des Gartmann-Geständnisses angesprochen. Ob die entscheidenden Sätze dabei waren, konnte der Beamte zwar nicht sagen, aber das wichtigste Argument der Anklage war zumindest stark beschädigt.

Für die Verurteilung ist eine Zweidrittelmehrheit im erkennenden Düsseldorfer Senat erforderlich. Schlössen sich nur zwei Richter aus dem fünfköpfigen 6. Senat des Oberlandesgerichts morgen den Zweifeln der Verteidiger an, wäre der Freispruch für drei der vier Angeklagten da. Walter Jakobs