piwik no script img

Zwischen den RillenSchwebezustand nach Twin Peaks

■ Wie Gallier unter Cäsar: „New Country“-Rebellen Freakwater und Tarnation

Schon gehört? Country stinkt. Wieder mal haben die konservativen Kräfte die Oberhand behalten, im ewigen Zyklus aus kleiner Palastrevolte und großer Restauration, der diese Musik dort definiert, wo sie industriell verfertigt wird, also in Nashville. Wobei konservativ vermutlich das falsche Attribut ist.

Denn im sogenannten „New Country“-Boom der neunziger Jahre geht es ja gerade nicht um das wertewahrende Beharren auf überlieferten Traditionen, sondern nur noch um ein paar Dollar mehr, die einem (noch) wachsenden Markt knapp an der Sättigungsgrenze abgetrotzt werden sollen. So werden die Platten immer schlechter, weil immer uniformer, während draußen im weiten Land überall kleine, im wahrsten Sinne des Wortes wohlbehütete Garth-Brooks-Clones auf ihre Chance warten, die sie mit einem Novelty-Hit für eine Saison in die Platin-Gewinnzone spült. Manchmal, und maximal auch für zwei.

Überall? Natürlich nicht. Denn mit der Country-Musik verhält es sich wie einst mit den Galliern unter Cäsar: Der Widerstand blüht! Anders als Anno dunnemals, aber längst nicht nur in einer Bastion. In Chicago beispielsweise ist Freakwater angetreten, um den guten Kern eines immer wieder anrüchigen Genres in diese Zeit herüberzuretten. Es gilt, die „wahren“ Werte dieser Musik gegen ihren vermeintlichen Ausverkauf zu verteidigen, die Unbestechlichkeit und Klarheit der Emotionen etwa, die im Idealfall mit der Ungekünsteltheit des musikalischen Ausdrucks harmonieren.

Auf seinem vierten Album mit dem bezeichnenden Titel „Old Paint“ bewegt sich das Quartett um die herb-süßlich zusammenklingenden Sängerinnen Catherina Irwin und Janet Beveridge Bean (sonst bei 11th Dream Day hinterm Schlagzeug) songschreibend wie interpretierend mit einer Stilsicherheit in der gewählten Tradition, die manchmal in Manierismus umzuschlagen droht. Wobei das zuständige Label eindeutig zu kurz greift, wenn es das Album in „More Songs About Death And Other Tragedies“ umzutaufen gedenkt. Sicher dreht sich vieles um Tragödien des Herzens; um jenen Moment, da „nothing's so sure as a razor- blade above your wrist“ („Gona To Stay“): um Fluchten in entmaterialisierte Zwischenreiche, wie in der brillant bedrohlichen Version von Loudon Wainwrights „Out Of this World“. Doch nicht alles Streben ist hier zum Untergang verurteilt. Der „Waitress Song“ etwa läßt etwas vom Humor erahnen, der dieses Genre auch auszeichnet. Und jedem „Ugly Man“ könnte eben auch ein Prinz folgen.

Mit „Old Paint“ bestreiten Freakwater natürlich in jeder Hinsicht ein reines Rückzugsgefecht. Das Ausharren in der Etappe kann eben auch ganz schön sein. Nur irgendwann sollte man auch wieder dort rauskommen.

Anders als Freakwater versuchen Tarnation dies zumindest. Ganz zugeschnitten auf die verhangen dunkle Stimme von Paula Frazer, die augenblicklich und mühelos in ein strahlend klagendes Falsetto umzukippen versteht, hat sich das Quartett aus San Francisco einen homogenen Schwebe-Sound erarbeitet, als überwiegend dezente Plattform für das große „Game Of Broken Heart“, so zumindest ein Songtitel. „Tell me a lie“, singt Frazer, nicht flehentlich, sondern eher nüchtern. Oder: „He's the only trouble she unterstands.“ Auch die triste Routine einer schnellen Nummer im „Rig O'Motel“ ist gut bei ihr aufgehoben.

Ein filmisch verknapptes Szenario wie dieses (auch ein Instrumental wie der Titelsong) und nicht zuletzt die leicht unwirkliche, umnebelnde Aura dieser Stimme von Frazer überhaupt, könnten dazu verführen, Tarnation Twin-Peaks-Kompatibilität zu bescheinigen. Dort lauert bekanntlich unter der Oberfläche, die nicht nur Provinz heißen muß, so manche Ungeheuerlichkeit. Doch wenn Tarnation über den gepflegten Einsatz einer Pedal Steal-Gitarre hinaus wirklich noch Country sind, dann gerade weil bei ihnen alles ziemlich klar auf der Hand liegt. Es gibt – abgesehen vielleicht von humoristischen (Titel-)Wortspielen – keine Doppelbödigkeit im Country- Reich. Das kleine Einmaleins dieser Musik, so haben Tarnation ganz richtig erkannt, besteht einfach darin, daß minus und minus eben nicht plus, sondern Desaster ergibt: „Two Wrongs Won't Make Things Right“. Und mehr ist dann auch nicht zu sagen. Jörg Feyer

Freakwater: „Old Paint“

(City Slang/EFA)

Tarnation: „Gentle Creatures“

(Rough Trade)

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen