Waffenstillstand in Bosnien in Kraft

Doch ist die Versuchung für die bosnische Armee groß, weiter auf Banja Luka vorzurücken.  ■ Aus Bihać Erich Rathfelder

„Der Waffenstillstand wird eine Zeitlang halten.“ Enes F., ein Offizier der bosnischen Armee des 5. Armeekorps in Bihać, lächelt. „Aber erst dann, wenn wir einige der Ziele, die wir uns gesteckt haben, auch erreicht haben.“ Und dazu gehörten die direkte Verbindung von Bihać nach Zentralbosnien, die Sicherung der Existenzfähigkeit Goraždes und alle Forderungen, die mit der Überlebensfähigkeit Sarajevos zu tun haben.

Mit den militärischen Erfolgen der letzten Tage ist die bosnische Armee ihren gesteckten Zielen aus eigener Kraft ein Stück nähergerückt. Und damit werden die Aussichten für die Einhaltung des Waffenstillstands günstiger. Mit der Eroberung der westbosnischen Stadt Sanski Most in der Nacht zum Mittwoch ist die in der letzten Woche erfolgte Offensive der serbischen Streitkräfte in diesem Raum erfolgreich zurückgeschlagen worden. Die Nachbarstadt Kljuć ist jetzt wieder sicher. Noch vor wenigen Tagen hatte diese unter dem militärischen Druck der Karadžić-Serben gestanden; diese hatten am Freitag letzter Woche fälschlicherweise die Einnahme Kljućs gemeldet. Mit dem am Mittwoch fortgesetzten Vormarsch auf die Stadt Prijedor wurden weitere, für die bosnische Regierungsarmee günstige Fakten geschaffen.

Erst nachdem seit vergangenem Samstag die kroatisch-bosnischen Truppen erneut massiv in die Kämpfe eingegriffen haben, hat sich das Blatt wieder zugunsten der verbündeten Truppen gewendet. Der kroatisch-bosnischen HVO gelang es schon am Dienstag, die wichtige, zentralbosnische Stadt Mrkonjić-Grad einzunehmen. Damit wird die Straßenverbindung Bihać–Jajće–Zentralbosnien nun vollständig von bosnischen Regierungstruppen und der HVO kontrolliert.

An der an der Grenze zu Kroatien liegenden Stadt Bosanski Novi haben kroatische Truppen in den letzten Tagen jedoch eine empfindliche Niederlage einstecken müssen. „Es gab viele Tote“, heißt es in Militärkreisen in Zagreb.

„In Banja Luka steigt wieder die Angst“, berichten Augenzeugen. Nach der Ankunft frischer Truppen aus Serbien letzte Woche — unter ihnen auch Truppen des berüchtigten Milizenführers „Arkan“ — hoffte man, die bosnisch- kroatische Offensive brechen zu können. „Die serbische militärische und die politische Führung brauchen dringend Erfolge“, schätzen Mitglieder internationaler Hilfsorganisationen die Lage ein. Mit der erneuten bosnisch- kroatischen Offensive ist diese Hoffnung in sich zusammengesunken: Lediglich der Waffenstillstand kann jetzt der serbischen Führung in Banja Luka eine Atempause verschaffen.

Dagegen ist die Versuchung für die bosnischen und die kroatischen Truppen hoch, in der Region Westbosnien die Offensive trotz Ausrufung des Waffenstillstandes an einzelnen Stellen fortzusetzen, vor allem in Richtung Prijedor. Indem auch Banja Luka nach der Einnahme von Mrkonjić-Grad in der Reichweite der Artillerie der kroatischen HVO liegt, seien jetzt sogar die Voraussetzungen „für die endgültige Befreiung der Städte Prijedor und Banja Luka“ geschaffen worden, heißt es bei der bosnischen Armee in Bihać.

Um Sarajevo und Goražde sieht die Lage für die Einhaltung des Waffenstillstandes günstiger aus. Denn in diesen Gebieten ist — aufgrund der eindeutigen Haltung des US-Unterhändlers Holbrooke — bei Verstößen gegen die Waffenruhe mit Nato-Aktionen zu rechnen. Fast unbemerkt von der Öffentlichkeit ist es der bosnischen Armee in den letzten Wochen gelungen, sich Kilometer um Kilometer der Enklave Goražde zu nähern. In bosnischen Militärkreisen werden Gerüchte bestätigt, wonach der Anschluß Goraždes an das bosnisch kontrollierte Gebiet schon in wenigen Tagen erfolgen könnte. Bei einer Schlußoffensive wäre allerdings mit vielen Opfern zu rechnen. Dies ist auf bosnischer Seite ein Grund dafür, sich in nächster Zukunft mit einer international garantierten Straßenverbindung in die Enklave zufriedenzugeben.

Weder ist die Straßenverbindung Kiseljak-Sarajevo noch diejenige von Sarajevo nach Goražde — wie im Waffenstillstandsabkommen versprochen — bisher eröffnet worden. UN-Sprecher in Sarajevo erklären die Verzögerung mit der Räumung von Minen, die jetzt vorgenommen würden. „Erst Anfang nächster Woche ist mit der Öffnung der Straßen nach Sarajevo und Goražde für Zivilisten zu rechnen“, erklärte gestern die UN. Die Fahrzeuge der Weltorganisation können sie jedoch schon jetzt benutzen.