Warum nur sagte es Steffi keiner?

Der baden-württembergische Landtag hat einen Untersuchungsausschuß zum Fall Graf eingesetzt. An seinem Ende steht ein Rücktritt oder eine Entschuldigung  ■ Aus Stuttgart Philipp Maußhardt

Finanzminister Gerhard Mayer- Vorfelder (CDU) war wieder einmal der Schnellste. Als ein Teil der baden-württembergischen Landtagsabgeordneten noch schlief, teilte er schon Rundumschläge im Frühstücksfernsehen aus. Dieses „Wahlkampftheater“ habe er satt, solche Beleidigungen und Verdächtigungen, wie sie die Grünen und die SPD gegen ihn und seine Finanzbeamten vorbrächten, werde er sich nicht mehr länger gefallen lassen. Fritz Kuhn, Fraktionschef der Grünen, blieb das Laugenweckle im Hals stecken.

Drei Stunden später sahen sich alle live wieder: im Plenarsaal des Stuttgarter Landtags, der seiner fehlenden Fenster, seiner Farbe und Form wegen durchaus einer Käseglocke gleicht. Daß hier etwas stinkt, da waren sich gestern zumindest die Grünen und die SPD sicher, die längst nicht mehr wissen wollen, was Finanzbeamte des Landes der Millionärin Steffi Graf an Vergünstigungen eingeräumt haben, sondern auf wessen Geheiß.

Dem Finanzminister, sowieso nicht für blasse Zurückhaltung bekannt, treibt diese Haltung die Zornesröte ins Gesicht. Er hieb gestern wild um sich und hatte nur mit einem Mitleid: mit sich selbst. „Ich muß schutzlos diese Beleidigungen und Verdächtigungen über mich ergehen lassen.“ Schnief, schneuz.

An der in den vergangenen Wochen immer lauter gewordenen Forderung, endlich Licht in den Steuerfall Graf zu bringen und zu erklären, ob und warum Finanzbeamte bei der Überprüfung der Steuerpflicht unser aller geliebten Steffi zwei Tennisbälle auf den Augen hatten, ist der Finanzminister nicht unschuldig. Erst hatte er nämlich laut angekündigt, er werde seiner Ehrenrettung und der Wahrheit halber das Steuergeheimnis lüften. Dann, als das Finanzgericht ihm diesen Wunsch versagte, schwieg er gleich so heftig, daß er nicht einmal mehr sagen wollte, ob Steffi Graf den Finanzbehörde überhaupt bekannt ist. Gerade er, der die Pingeligkeit nun nicht erfunden hat, hielt sich so krampfhaft an das Redeverbot.

Auf diese Weise schürte Mayer- Vorfelder noch den Verdacht der Grünen, die Steuerpflicht werde „nach oben immer dünner“ (Kuhn), und nahm in Kauf, daß das „Unbehagen über die Steuergerechtigkeit“ (Alfred Geisel, SPD) im nicht Tennis spielenden Volk erheblich gewachsen sei. Längst ist schließlich bekannt, daß im Dezember 1993 die Anwälte der Grafs sich mit der Oberfinanzdirektion in Karlsruhe auf ein Verfahren geeinigt haben, das beweist: Auch Finanzbeamte können sehr großzügig sein. Pauschal genehmigten die Beamten der Millionärin Betriebskosten in Höhe von 35 Prozent.

„Man hätte der Steffi sagen müssen, daß das Ende der Fahnenstange erreicht ist“, meint Fritz Kuhn. Statt dessen aber habe Mayer-Vorfelder noch im Juli 1995 mit Vater Graf am Telefon freundlich geplaudert.

Fünf Monate vor den Landtagswahlen in Baden-Württemberg wurden gestern die alten Fronten wieder einmal sichtbar: Die ganze große Koalition setzte sich zusammen aus Republikanern, Freidemokraten, Grünen und SPD gegen die CDU. Alle vier Parteien stimmten für einen Untersuchungsausschuß, der möglichst laut in die Wahlkampfzeit hinein die Frage stellen wird nach Fehl und Tadel des Finanzministers. Aber selbstverständlich wollen auch die Christdemokraten nichts anderes als der Wahrheit zum Durchbruch verhelfen, auch wenn sie gestern der Einsetzung des Ausschusses nicht zustimmten, sondern sich enthielten. „Wir sind bereit, so oft, so lange und so intensiv daran mitzuarbeiten, wie Sie wollen“, sagte Fraktionschef Günther Oettinger noch einigermaßen ruhig und kam dann in Fahrt: Eine „barbüßige Attacke“ werde hier vom Koalitionspartner gegen die Finanzverwaltung geführt, und er stellte gar fest: In diesem Parlament gebe es ein „linkes Intelligenzgefälle“. Ganz links außen brüllte ein Getroffener: „Sie Teppichbeißer“, und auf einmal wußte man wieder, wo man war: in einem von Demoskopen beschriebenen Ländle, wo CDU und eine rot- grüne Koalition im Moment noch bei den Wählern gleichgroße Chancen auf den Wahlsieg im März 1996 haben.

Vorsitzender der gestern eingerichteten parlamentarischen Wahrheitsfindungskommission ist nun der gewiefte Christdemokrat Peter Straub, der es in der Hand hat, wie zügig und schonungslos der Fall aufgeklärt wird. Ob der Fall dann zu seinem Fall wird, ist für Mayer-Vorfelder schon ausgemacht: Er wird erhobenen Hauptes aus der Untersuchung herausgehen, „und Sie, Herr Kuhn, werden sich bei mir noch entschuldigen müssen!“