„Versuchen wir einen Verzweiflungsschrei“

■ Die SPD im bayerischen Landkreis Miesbach hat die Nase von den Querelen an der Parteispitze voll. Sie will nicht mehr als SPD kandidieren und sucht ein „neues Firmenschild“

Die Sozialdemokraten im Landkreis Miesbach haben angekündigt, bei der Kommunalwahl im März 1996 mit einer eigenen Liste anzutreten. Michael Pelzer, Vorsitzender der SPD-Kreistagsfraktion und Bürgermeister von Weyarn, will solange nicht als Sozialdemokrat kandidieren, bis die Verantwortlichen in Bonn und München „aufhören, das Firmenschild SPD durch den Schmutz ihrer Eitelkeiten zu ziehen“, schreibt Pelzer an Bundes- und Landes-SPD.

taz: Herr Pelzer, in der SPD macht zur Zeit jeder, was er will. Ihre Aktion kritisiert diese fehlende Linie – und verschärft das Problem doch gleichzeitig.

Michael Pelzer: Stimmt schon, aber es ist doch vor allem die Parteispitze, in der jeder macht, was er mag. Zuerst hatten wir die bayerische Schmid/Schmidt-Gaudi, jetzt die Szenen in der Bundes-SPD, wo jeder jeden abmeiert. Wer daran nicht beteiligt ist, sind die Mitglieder. Genau deshalb bröckelt bei uns die Basis. Kulminiert ist das letzten Samstag in Hausham, einem Bergarbeiterort, wo die SPD traditionell sehr stark ist. Bei einer Mitgliederversammlung waren vierzig bis fünfzig Mitglieder da. Sie alle haben gesagt: Jetzt reicht's, wir treten aus. Mein Vorschlag in dieser Situation war: Versuchen wir es anders, versuchen wir einen Verzweiflungsschrei. Also haben wir angekündigt, die Beitragszahlungen zu stoppen und uns einstweilen ein neues „Firmenschild“ zu suchen.

Hat irgendwer Ihren Schrei gehört?

Ja. Renate Schmid hat lange mit mir und dem Ortsvereinsvorsitzenden von Hausham telefoniert; wir haben weitere Gespräche vereinbart. Der Landesvorstand will nun in den nächsten Wochen die Ortsvereine besuchen – alles Dinge, die vorher theoretisch auch möglich gewesen wären. Aber sie kamen erst nach unserem Aufschrei.

Eine andere Möglichkeit wäre ja gewesen, damit nicht an die Öffentlichkeit zu gehen, sondern Ihre Wut und Ihren Ärger innerhalb der Partei loszuwerden.

Keine Chance. Wenn Sie das Innenleben dieser Partei erleben, fragen Sie sich oft, ob es sinnvoll ist, sich da noch einzusetzen – deshalb ich mich übrigens meistens auf die Kommunalpolitik konzentriert. Denn da ist die Organisation nicht so gepanzert. Wenn Sie also jemanden an der Spitze mit einer Botschaft erreichen wollen, haben Sie nur zwei Möglichkeiten: Austreten oder einen kleinen Molotowcocktail schmeißen. Wir haben uns gesagt, wir schmeißen mal was.

Trotzdem bleibt die Frage, ob Sie zur bekannten Dissonanz in der SPD nicht nur eine weitere Variante beisteuern.

Fragen Sie mich das in vier Wochen, dann weiß ich's. Wir haben dieses Risiko natürlich gesehen – daß wir zum vorhandenen Wirrwarr noch eine Facette hinzufügen. Aber wir hoffen eben, daß unsere Ankündigung einen Prozeß einleitet, der an der Spitze etwas verändert und die Resignation an der Basis beendet. Interview: Felix Berth