Wehrschloß oder: Vom Alltag der Jugend-Freizi-Arbeit keine Ahnung -betr.: Diskussion nicht öffentlich, taz vom 29.9.1995

Betr.: Diskussion nicht öffentlich, taz vom 29.9.95 Daß sich die Presse auf Geschehnisse wie die gewalttätigen Übergriffe unter Jugendlichen im Jugendfreizeitheim Wehrschloß stürzt, ist „normal“ in einer Medienlandschaft, die sich fast nur von Sensation zu Highlight hangelt. Die taz schwimmt auf dieser Welle. Daß dabei wesentliche Hintergründe auf der Strecke bleiben, scheint so egal wie unwichtig. Denn der Alltag ist unspektakulär, nur der Zwischenfall wird vermarktet. Anstatt sich mit der Alltagssituation von Jugendlichen, mit der Praxis Offener Jugendarbeit ernsthaft auseinanderzusetzen und dadurch einen Beitrag zu leisten, um das Geschehene begreifbar zu machen, schießt sich eine Redakteurin in niveauloser Weise auf PädagogInnen und Arbeitskonzepte ein. Nach dem Motto: dumpfe Polemik ist allemal einfacher als inhaltlicher Tiefang, macht ja auch mehr Arbeit. Mit dem im Wehrschloß erfolgten Übergriff wird auf ein pädagogisches Konzept eingedroschen, von der unspektakulären Wirklichkeit in nahezu 40 Einrichtungen der offenen Tür in Bremen kein Wort. Nicht zuletzt die geschmacklose Karikatur macht deutlich, daß in der Redaktionsstube in keinster Weise kapiert wurde, worum es bei der offenen Arbeit in Jugendhäusern geht: war es doch immer ein Grundelement der mit vielerlei Konflikten befrachteten Arbeit, Jugendlichen einen Raum zu bieten, in dem sie eine Streitkultur entwickeln können, die ohne Polizei auskommt.

Wie wenig Interesse bei der Taz vorhanden ist, die Probleme von Kindern und Jugendlichen überhaupt darzustellen, macht der Artikel über den jahrelangen sexuellen Mißbrauch von Jungen in der Fußballabteilung des ATSV Sebaldsbrück deutlich (11.9.95). Da wird schwadroniert über die armen Vereinsmitglieder, deren Jubiläum nun gestört ist, da wird haarklein spekuliert, was da wohl für Schweinereien passiert sein könnten – von den betroffenen Kindern, von den Folgen, die derartige Übergriffe auf sie haben, von der unverantwortlichen Haltung der Vereinsverantwortlichen ist dagegen keine Rede. Sexueller Mißbrauch an Jungen ist ein Tabu, hier hätte eine Möglichkeit bestanden, dem durch sachliche Information entgegenzuwirken. Aber das würde ja schon wieder bedeuten, inhaltlich ernsthaft zu arbeiten.

Was das eine mit dem anderen noch zu tun hat? Kinder, denen solches widerfahren ist, finden sich z.B. in Jugendhäusern wieder, PädagogInnen mühen sich dort ab, ihnen die Aufmerksamkeit und Beratung zukommen zu lassen, die ihnen vom Verein und von der Öffentlichkeit verweigert werden. Damit wären wir dann wieder bei der von der Taz geschmähten Arbeit, die u.a. in Jugendfreizeitheimen geleistet wird.