: Fünf Männer schaufeln für das Vaterland
■ Spatenstich für Tiergartentunnel: Kanzler sieht nur Stau, Diepgen vermißt Zwischenrufe, Dürr buddelt nicht für Autos
Der Bau der Tiergartentunnel für Autos, Eisenbahn und U-Bahn ist gestern gestartet worden. Kanzler Kohl, Bundesverkehrsminister Wissmann, der Regierende Diepgen, Bahnchef Dürr und sogar Bausenator Nagel schaufelten nachmittags fünf Löcher in das „wiedervereinigte Vaterland“ (Kohl). Ab Montag sollen Bagger die Gruben für das 5,2 Milliarden Mark teure Projekt der Deutschen Bahn AG und des Landes Berlin ausheben. Zu dem Festakt waren rund 800 Personen aus Politik und Wirtschaft gekommen.
Bei dem ersten Spatenstich kam es nur zu einem kleinen Zwischenfall: Der Bündnisgrüne Ströbele versuchte Kohl mit einem Zwischenruf an seinen damaligen folgenlosen Spatenstich für das Deutsche Historische Museum (DHM) erinnern. Der Neubau wurde nie realisiert, weil die Vereinigung dazwischenkam. Kohl zeigte an dem Grünen kein Interesse: „Ich glaube, ich brauche Ihre Ratschläge nicht.“
Als dann der Regierende Bürgermeister mit Reden an die Reihe kam, verzogen sich die Grünen, die sich bei der Kanzlerrede demonstrativ mit Antitunnel-T-Shirts in den Vordergrund gedrängt hatten. Während der Fraktionsvorsitzende der SPD diese Aktion später als „lächerliche und schwache Slapsticknummer“ bewertete, bedauerte Diepgen, daß die Grünen bei seiner Rede den Platz verließen: „Ein Zwischenruf hätte mich belebt.“ Diepgen hatte wieder eine seiner einschläfernden Reden gehalten.
Kohl lobte die Tunnel als effektiv. Nach seiner Rede auf den zu erwartenden Stau im Autotunnel angesprochen, meinte er: „Wenn man will, dann staut sich das da.“ Dann wollte er lieber über die taz sprechen: „Wenn ich in Ihre Zeitung gucke, sehe ich auch nur Stau.“ Was der Kanzler damit sagen wollte, konnte nicht geklärt werden, weil seine Leibwächter das Gespräch unterbrachen. Bahnchef Dürr fand zum Straßentunnel wiederum verständliche Worte: „Ich buddel' nicht für Autos.“
Bausenator Nagel (SPD) durfte am Tisch des Kanzlers einen Sekt trinken, obwohl er die Bauaufträge für ein weiteres Teilstück der U-Bahn angeblich gestoppt hat. Für die Gnade des Kanzlers hatte Verkehrssenator Haase (CDU) wiederum eine Erklärung. Die Aufträge für die Linie U 5 würden weiterhin vergeben, da nämlich der Bausenator gar nicht mehr der Auftraggeber sei, sondern die Berliner Verkehrsbetriebe. Und die sollen nichts gestoppt haben.
Am Abend startete eine Demonstration der „Anti-Tunnel- GmbH“. Die Polizei rechnete mit Auseinandersetzungen bei Kohls Wahlkampfauftritt auf dem Alex. Dirk Wildt
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