Alles reformieren

Unis wie Wirtschaftsbetriebe führen  ■ Von Michael Daxner

In den nächsten Wochen werden wieder Hunderttausende Studierende an den deutschen Hochschulen ihr Studium beginnen. Man wird sie mit einem zweifelhaften Willkommensgruß konfrontieren: Ihr seid zu viele, aber wir freuen uns auf euch!

Üblicherweise wird bei diesen Gelegenheiten die StudentInnenschaft auch einen Katalog von Forderungen verlesen, der den Neuen einen Eindruck von der Unzulänglichkeit dessen gibt, was sie erwartet. Schöne Aussichten.

Jeder weiß, daß die Hochschulen in einer Krise sind, die nicht nur die Krise des Sozialstaates ist, die nicht nur durch die verarmten öffentlichen Haushalte bestimmt wird, die nicht einfach den Zusammenbruch einer durch ständige Überlastung brüchig gewordenen erfolgreichen Institution markiert.

Also stehen Reformen an, die diesen Namen verdienen. Die Studierenden zu motivieren, an diesen mitzuwirken, ist eine wichtige Aufgabe aller Hochschulmitglieder zu Semesterbeginn. Was muß reformiert werden? Alles, möglichst gleichzeitig. Aber nicht alles in gleicher Intensität und mit vergleichbaren Konsequenzen.

Erstens: Es ist wert, um die Hochschulreform zu kämpfen – weil sie für die nächsten Generationen gemacht wird. Für die bedeutet sie die Einlösung des Rechts auf Zugang zu wissenschaftlicher Bildung. Das nächste Reformkapitel muß konsequenterweise sein, alle Bereiche der Hochschule für die, die man als Bündnispartner gewinnen will – PolitikerInnen, Eltern, Medien, AbsolventInnen – transparent zu machen. Nur wer weiß, wie der Betrieb abläuft, kann etwas von sich und anderen fordern.

Weiterhin muß geklärt werden, wovon 1,8 Millionen Studierenden in nächster Zeit leben sollen. Ohne daß sie eine elternunabhängige Verfügungsmacht über ihren Lebensunterhalt im Studium haben, kann man keine „Verträge“ mit den Studierenden schließen.

Die StudentInnen brauchen zudem die Sicherheit, daß ihnen die Hochschule auch eine gute Bildungsleistung anbietet. Für die Fachbereiche und die einzelnen Lehrenden sollen deshalb Evaluation, Anreize für Lehrverbesserungen, Verstärkung der Betreuung selbstverständlich werden. Überlastung darf keine Ausrede für didaktische Phantasielosigkeit oder Inkompetenz sein. Damit das gelingen kann, muß man den Hochschulen echte Autonomie – nicht dauerndes Nachbessern durch die staatliche Verwaltung – und viel Flexibilität zugestehen.

Die daraus folgende Finanzautonomie wird an einigen Orten erprobt, vielfach zu spät und halbherzig: Es beeinträchtig die Wissenschaftsfreiheit nicht, wenn die Hochschulen wie Wirtschaftsbetriebe geführt werden (niemals als solche!) – wenn nur Kontrollmechanismen und Transparenz gewährleistet sind. Das setzt einen Professionalisierungsprozeß bei allen Beteiligten voraus, auch bei den Studierenden. Daraus ergeben sich zwingend Forderungen an die Personalreform: Nicht das Lebensalter, sondern die Leistung soll ausschlaggebend sein für Differenzierungen in der Bezahlung der DozentInnen.

Das alles wird kosten: Geld, Engagement, Sachverstand und viel Lerneifer. Vielleicht können wir wieder einmal hoffen, daß in einem neuen Semester StudentInnen zu uns kommen, die uns darauf verpflichten, die Hochschulreform so ernstzunehmen wie die Fächer, in denen wir lehren und forschen. Der „Standort“ Deutschland braucht nicht nur ExpertInnen, sondern auch kritische BürgerInnen, mit denen ein Kultur- und Sozialstaat der Zukunft machbar ist. Dafür lohnt es sich, die Privilegien der Hochschule zu verteidigen, allerdings erst, wenn wir sie uns verdienen: Das bedeutet, Rechenschaft über uns anvertraute Menschen, Wissenschaft und Gelder zu geben und unsere Pläne auch denen zu vermitteln, die dafür zahlen. Das sind nicht nur die SteuerzahlerInnen.