Happy Birthday, Haftbefehl!

■ 17 Jahre „Radikal“ und 150 Ermittlungsverfahren – Ein TV-Geburtstagsgruß, Sonntag, 0.30 Uhr, Kanal 4/RTL

Oliver Tolmein, der in den guten Zeiten, als diese Zeitung „noch eine linke Zeitung war“, als taz- Redakteur arbeitete, hat einen Film über Radikal gemacht. Radikal, in der zweiten Hälfte der 70er als studentisch dominiertes, linksradikels Monatsmagazin gegründet, (unter anderen vom Stasi-Zuarbeiter Dirk Schneider) avancierte in den Achtzigern zu der am schärfsten verfolgten Publikation der BRD. Jede Ausgabe wurde beschlagnahmt und Mitarbeiter als Mitglieder einer kriminellen Vereinigung verfolgt. Bastelanleitungen für Bomben im Guerillakampf und die Bekanntgabe „anschlagsrelevanter Ziele“ (O-Ton Bundesanwaltschaft) diente dem Staatsschutz als Vorwand für eine Dauerverfolgung. Seit 1985 erscheint das Blatt klandestin, mit einer Postadresse in Holland.

Aufhänger des Films ist die letzte großangelegte Polizeiaktion gegen die in den Untergrund gedrängte Zeitschrift im Juni dieses Jahres, bei der vier Leute verhaftet wurden, die seitdem in Isolationshaft sitzen. Der Film ist handwerklich gut gemacht, sein Anspruch ist, Aufmerksamkeit für die Verfolgten zu erregen, doch die Botschaft ist niederschmetternd: Nie ging es der Linken so schlecht wie heute. Voller Nostalgie nimmt der Film Bezug auf die bewegten Jahre, als die Autonomen im Häuserkampf die Republik beschäftigten, Anti- AKW-Kämpfer gegen Bauzäune angingen und taz-Redakteure sich noch vor dem Berliner Kriminalgericht anketteten, um gegen die Verhaftung zweier Radikal-Verantwortlicher zu protestieren. Nichts mehr davon heute.

Die Alternativblätter der Siebziger und Achtziger sind tot, die taz ist Teil des Schweinesystems und nimmt die Repression gegen die radikale Linke einfach nicht mehr zur Kenntnis. Schlechte Zeiten eben seit 89, meint eine junge Frau im Interview – die BRD-Justiz versucht die radikale Linke endgültig zu zerschlagen. Das hat sie zwar früher auch versucht – haben wir jedenfalls immer behauptet – tut sie aber heute offenbar mit wesentlich mehr Erfolg.

Die interessante Frage wäre gewesen, warum das so ist. Warum spielen die Autonomen in der heutigen politischen Auseiandersetzung keine Rolle mehr, warum werden sie öffentlich nicht mehr wahrgenommen? Vielleicht liegt es ja nicht nur an der brutalen Repression des Staatsapparats, sondern am Politikverständnis der letzten Mohikaner bei den Autonomen.

Eine ernsthafte Auseinandersetzung mit Radikal hätte zumindest danach gefragt, welche Relevanz das Blatt heute noch haben kann. Aber nichts davon. Wäre auch ein bißchen viel verlangt für 30 Minuten und von Oliver Tolmein. Jürgen Gottschlich