Alina ist frei

■ Haftentlassung für die als „Dealerin“ verfolgte russische Dichterin

Moskau (taz) – Küsse, Tränen und sogar einen zerrupften Rosenstrauß gab es Donnerstag abend im Volksgericht des Moskauer Golowinski-Bezirks, als die 22jährige Dichterin Alina Wituchnowskaja aus der Tür des eisernen Affenkäfigs in den Saal schritt. Das Gericht entließ sie bis Prozeßende aus der Haft – gegen die Auflage, ihren Wohnort nicht zu verlassen. Drei Tage später hätte sie ihr einjähriges Jubiläum im berüchtigten Untersuchungsgefängnis Butyrka feiern können.

Der Prozeß gegen Alina Wituchnowskaja ist ein Kräftemessen zwischen den Geheimdiensten und demokratisch gesonnenen Intellektuellen. Die Dichterin wird bezichtigt, mit Synthetikdrogen im Werte von 30 Mark gehandelt zu haben. Im Laufe des Verfahrens kamen aber eklatante Verletzungen des Prozessualrechtes ans Licht. Die Dichterin hatte vor ihrer Festnahme zwei Lyrikbände und mehrere Artikel über Drogenhandel und -konsum unter russischen Jugendlichen publiziert. Sie berichtete, der FSB (Nachfolger des Geheimdienstes KGB) versuche durch die Haft von ihr Angaben über drogensüchtige Prominentenkinder zu erpressen.

Noch zu Wochenbeginn hatten sich die Fronten verhärtet. Die Prawda publizierte einen langen Hetzartikel gegen die „Großdealerin“ Alina unter dem Titel „Rausch“. Im Moskauer „Haus des Journalisten“ zeigte man im Beisein eines FSB-Vertreters einen Film über die Dichterin als Dealerin, den der Generaldirektor des russischen Fernsehens wegen tendenziöser Berichterstattung aus dem Programm geworfen hatte. Alina selbst ist darin neben vielen Spritzen und Drogentütchen nämlich nur auf einem Porträtfoto zu sehen. Ihre Freilassung begünstigten Auftritte neuer Zeugen, denen zufolge der FSB im diesem Fall mit Gewaltdrohungen und Fälschungen gearbeitet hat.

Sie fühle sich „körperlich miserabel, aber dafür ziemlich inspiriert“ erklärte Alina und fiel dem Vorsitzenden des russischen PEN- Clubs, Alexander Tkatschenko, um den Hals. Er und die bekannten Schriftstellern Andrej Bitow, Arkadi-Waksberg und die Lyrikerin Junna Moritz hatten sich vor Gericht und in der Öffentlichkeit als „gesellschaftliche Verteidiger“ für ihre Kollegin eingesetzt. Jetzt wollen sie selber prozessieren. Barbara Kerneck