„Was passiert ist, ist passiert“

■ Die Türken in Solingen akzeptieren das Urteil, reagieren aber unterschiedlich: „Gerecht“, meinen die einen, „zu milde“ die anderen

Das große Polizeiaufgebot in der Innenstadt kann Altun Kanjak nicht überraschen. „Die ganze Welt schaut heute zu und fragt sich, was Deutschland jetzt macht“, sagt der Vorsitzende des Türkisch-Islamischen Kulturvereins und schaltet den Fernseher ein. Mit dem 55jährigen sind ein halbes Dutzend Mitglieder ins Vereinshaus im Stadtteil Solingen- Wald gekommen, um sich über das Urteil im Brandanschlag-Prozeß zu informieren.

In den Elf-Uhr-Nachrichten des türkischen Fernsehens, zählt das Urteil nicht zu den ersten Meldungen. Als schließlich, nach Berichten aus dem Parlament und über einen Heroinfund an der türkischen Grenze, die Haftstrafen der Angeklagten genannt worden sind, verfallen die Männer in Schweigen.

Wie sollen sie auch reagieren auf das Ende eines solchen Verfahrens? Saffäd Demir, ihr Imam, zuckt bloß mit den Schultern. Sein Tischnachbar erklärt: „Ich kann nichts dazu sagen, das ist das deutsche Gesetz.“ „Wenn das deutsche Gesetz ,15 Jahre‘ sagt“, will Altun Kanjak klarstellen, „dann ist das richtig so. Wir können doch nicht auf die Straße gehen und kämpfen.“

Am Gedenkstein für die fünf ermordeten Frauen und Mädchen in der Unteren Wernerstraße liegt an diesem Morgen nur ein vertrockneter Kranz. Im türkischen Teehaus sind die Reaktionen geteilt. „Das Urteil freut mich“, sagt der 32jährige Cansu Özcan, „Wenn nur einer der vier freigekommen wäre, hätte ich kein Vertrauen mehr in die deutsche Justiz gehabt“. Der 17jährige Deniz Kach hingegen empört sich über die nach seiner Meinung zu niedrigen Strafen: „Die haben doch eine ganze Familie umgebracht!“

Um heftigen Reaktionen vorzubeugen, waren die türkischen Einrichtungen Solingens bereits im Vorhinein an die Öffentlichkeit gegangen: „Wir appellieren an die Besonnenheit aller hier lebenden Menschen“, heißt es da. „Auch wenn das Urteil uns im ersten Augenblick als nicht hinnehmbar erscheinen könnte. Wir und die in Solingen lebenden gesamten türkischen Mitbürger möchten weiterhin in Frieden und Freundschaft mit allen Solingern leben, denn auch wir sind Solinger.“

Die Höchststrafe, meint Kanjak nun, hätten die Täter mehr als verdient: „Die bringen fünf Menschen um, gehen ins Gefängnis, und in ein paar Jahren sind sie wieder frei.“ „15 Jahre sind eigentlich zu wenig“, sagt der 21jährige Yilmaz Gökcek, der als Dolmetscher mitgekommen ist. „Man muß die Qualen der Menschen bedenken. Die sind bei lebendigem Leib verbrannt.“ In der Türkei, fügt Kanjak hinzu, besäßen Ausländer Hunderttausende von Häusern. Er kann sich nicht erinnern, daß Rassisten jemals eines von ihnen anzündeten. „Doch was passiert ist, ist passiert. Die Toten bringt das nicht zurück.“ Bernd Neubacher, Solingen