Das Düsseldorfer Oberlandesgericht verurteilt die vier Brandstifter von Solingen. Dreimal 10 und einmal 15 Jahre Haft - wegen Mordes und versuchten Mordes, das Motiv: Ausländerhaß. Für die türkische Gemeinde ein "gerechtes Urteil". Am Pfing

Das Düsseldorfer Oberlandesgericht verurteilt die vier Brandstifter von Solingen. Dreimal 10 und einmal 15 Jahre Haft – wegen Mordes und versuchten Mordes, das Motiv: Ausländerhaß. Für die türkische Gemeinde ein „gerechtes Urteil“. Am Pfingstsamstag 1993 starben fünf türkische Frauen und Mädchen in den Flammen.

„Willkürlich gemordet“

Es ist still, ganz still als der Senatsvorsitzende Wolfgang Steffen den Düsseldorfer Gerichtssaal betritt. Angespannt sind die Gesichter der Angehörigen und Freunde der Angeklagten Felix. K. und Christian B. Beide hatten immer wieder ihre Unschuld beteuert. Freunde und Familien der Angeklagten Christian R. und Markus Gartmann befinden sich nicht im Saal, als Steffen zur Urteilsbegründung anhebt. „Blind und willkürlich setzten vier junge Männer, die rassistisches Gedankengut in sich trugen, das Haus einer türkischen Familie in Brand und töteten fünf Menschen“, sagt der Richter. Er verurteilte die drei zur Tatzeit minderjährigen Täter zu zehn, den vierten Erwachsenen zu 15 Jahren Haft. Die den Angeklagten gegenübersitzenden Überlebenden der Familie Genç nehmen das Urteil ohne jede äußerliche Regung auf.

Dann, der Richter hat den Schuldspruch kaum ausgesprochen, tumultartige Szenen. „Ich bin unschuldig“, schreit der 18jährige Felix K. von der Anklagebank und beschimpft den fünfköpfigen Senat als „Schweine“. Fassungslos ist auch der 22jährige Christian B. Während Christian R. (19) und Markus Gartmann – er war als einziger zur Tatzeit erwachsen – das Urteil äußerlich völlig ungerührt aufnehmen. Weinkrämpfe bei Eltern, bei Felix K. und seinen Freunden lösen sich ab mit wüsten Beschimpfungen. „Dreckige Schweine“, tönt es aus den Zuhörerreihen und Felix K. ruft: „Was ist das für ein Rechtsstaat.“

Ihre Erschütterung und Fassungslosigkeit offenbart die ganze Ambivalenz dieses Prozesses. Zu diesen verzweifelten Menschen sind die belastenden Momente gegen ihre Kinder und Freunde nie vorgedrungen. Bestärkt von ganz auf Freispruch fixierten Verteidigern trifft sie jetzt der vom Senat verkündete Schuldspruch wie ein Keulenschlag.

Doch so abwegig, wie es diesen Angehörigen erscheint, sind Steffens Argumente nicht. Die unrealistischen Hoffnungen wurden gewiß auch durch die Plädoyers von Verteidigern wie Georg Greeven geweckt, der in seinem Plädoyer davon gesprochen hatte, „durch die Beweiserhebung im Prozeß“ habe „sich für die Angeklagten alles zum Besseren gewendet“. Tatsächlich war die Verteidigung jedoch mit ihren Versuchen gescheitert, zu beweisen, daß drei der vier Angeklagten zur Tatzeit gar nicht am Tatort hätten sein können. Nimmt man die zum Teil gewiß widersprüchlichen Aussagen der Zeugen und die Erkenntnisse der Brandgutachter zusammen, dann kann kein vernünftiger Zweifel daran bestehen, daß der von der Bundesanwaltschaft zugrunde gelegt Zeitrahmen zutrifft.

Der Tat überführt hält der Senat alle vier vor allem durch das Geständnis von Markus Gartmann. Dessen Widerruf nach 80 Verhandlungstagen werten die Richter als „durchsichtiges, prozeßtaktisches Manöver“.

Auf dem Solinger Polizeipräsidium hatte Gartmann gegenüber seinem kranken Vater die Tatbeteiligung per Kopfnicken bestätigt. Diesem Schuldgeständnis gegenüber der einzigen Person, für die er sich verantwortlich fühlte, mißt das Düsseldorfer Gericht eine „entscheidende Bedeutung“ zu.

Zu den zahlreichen Ermittlungspannen im Vorfeld des Prozesses äußerte sich Steffen mit Verweis auf die Plädoyers nur äußerst knapp. Bis zum Schluß konnte nicht geklärt werden, woher der Brandbeschleuniger stammte. Immer wieder hatte das Verfahren für Schlagzeilen gesorgt. Mal ging es um einen V-Mann des nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzes, der in Solingen die von Rechtsradikalen der ganzen Republik frequentierte Kampfsportschule Hak-Pao betrieb; drei der vier Verurteilten hatten zeitweise dort trainiert. Und dort sind die drei nach Auffassung des Gerichts „in ihrer rechten Gesinnung“ immer wieder bestärkt worden. Dann gab es die Enthüllungen über verbotene Vernehmungsmethoden durch Wuppertaler Kripobeamte beim Verhör von Christian B. Hier laufen inzwischen Ermittlungsverfahren.

Zumeist behielt der penibel agierende Richter Steffen während der 125 Prozeßtage die Übersicht. Doch bei seinem Bemühen, auch den abwegigsten Hinweisen nachzugehen, unterlief ihm am 100. Verhandlungstag ein schwerwiegender Fehler. Ungeprüft führte er eine gefälschte Urkunde in den Prozeß ein, in der Überlebende der Familie Genç übel verleumdet wurden. Das war für die Familie, der in diesem Prozeß viel zugemutet wurde, der wohl größte Schock. Walter Jakobs, Düsseldorf