Aus Rot-Grün gelernt?
: Alle politischen Grundsätze über Bord geworfen

■ taz-Serie zu Erfahrungen mit der Koalition von 1989. Ein Kreuzberger Autonomer über grünen Verrat: Die Grünen stellen bei allen Konflikten ihre Loyalität mit dem Staat unter Beweis und vernachlässigen die Politik außerhalb des Parlaments

Sechs Jahre ist es her, daß es in Berlin unter dem späteren Spekulanten und damaligen Regierenden Bürgermeister Walter Momper eine rot-grüne Koalition gab. Große Illusionen wurden damals geschürt, heftige Enttäuschungen folgten auf dem Fuße.

Die Politbürokratie blieb grau und knallhart. Eines der größten Bullenaufgebote der Nachkriegsgeschichte räumte die Mainzer Straße in Friedrichshain, der neue Innensenator machte einen Kniefall nach dem anderen vor Polizei und Justiz. Aus einer versprochenen Reform des Verfassungsschutzes wurde noch nicht mal ein Reförmchen, von der groß angekündigten Akteneinsicht bekamen die meisten nur die Aktendeckel und ein paar leere Blätter zu sehn. Die neue Frauensenatorin hatte null Rechte und durfte nur mäkelnde Presseerklärungen verlesen.

In allen wesentlichen Bereichen wie Wirtschaft und Bauwesen saß die alte Riege aus Christ- und Sozialdemokraten und kungelte mit den großen Herrn aus den Vorstandsetagen der Banken und Konzerne, wie das Fell des gerade erlegten Ostberliner Bären am profitabelsten unter den Reichen zu verteilen sei.

Die Politbürokratie blieb grau und knallhart

Die Grünen hatten für die Regierungsbeteiligung alle politischen Grundsätze über Bord geschmissen, mit dem sie in den frühen achtziger Jahren in die Parlamente eingezogen waren.

Auch die fünf Jahre Opposition haben bei den Berliner Grünen zu keinen neuen politischen Ansätzen geführt. Außerparlamentarische Bewegungen wurden von den meisten Abgeordneten nicht wahrgenommen, die einzige rühmliche Ausnahme war das politische Engagement einer Abgeordneten in der NOlympic-Kampagne.

Ansonsten sind die Parteiführung und insbesondere die Fraktion sehr darauf bedacht, in allen politischen Konflikten – wo es so was wie den Druck von der Straße noch gibt, wo Betroffene ihre Rechte selbst in die Hand nehmen und diese gar mit Gewalt gegen die Bevormundung durch Staat und Polizei verteidigen – bis zum Erbrechen ihre Staatsloyalität und ihre Fixierung auf den parlamentarischen Weg unter Beweis zu stellen.

Keine Standfestigkeit gegenüber der SPD

In allen wichtigen Zukunftsfragen der Stadt, wie dem Tiergartentunnel, dem Großflughafen, dem Transrapid, der Abschiebung von Flüchtlingen, der AusländerInnenpolitik, der Hauptstadtplanung und der weiteren sozialen Verelendung haben wir zum heutigen Zeitpunkt von den Grünen keinerlei Standfestigkeit gegenüber der SPD zu erwarten. Das neue Parteiprogramm kennt nur noch eine Überschrift: „Pragmatismus“, wie es Christian Ströbele für die anvisierte Neuauflage einer rot-grünen Koalition formulierte.

„Veränderung beginnt“ nicht, wie die PDS mal behauptete, „mit Opposition“ im Parlament, sondern sie endet dort! Gesellschaftlich tiefgreifende Reformen, Brüche kamen immer von unten, von der Straße und mußten erkämpft werden. Daran hat sich trotz der derzeitigen Flaute nix geändert. In der Geschichte der Bundesrepublik gab es Zeiten, als Grüne und Teile der SPD jedenfalls zeitweise fähig waren, die politischen Forderungen der außerparlamentarischen Bewegung aufzunehmen, sie zwar abschwächten, aber in Reformen kleideten. Heute weht ein anderer Wind. Heute geht es SPD und Grünen nur noch um Macht.

Auch in Berlin würde unter Rot- Grün so weitergewurschtelt wie bisher: Die Staatsbürokratie wird nicht abgebaut, die Bauspekulation geht weiter, der Tiergartentunnel und der Lehrter Zentralbahnhof werden gebaut und die Armen, Arbeits- und Wohnungslosen werden noch zahlreicher, dafür um so rabiater aus der Innenstadt verjagt, schließlich wird ja Berlin Hauptstadt!

Reformen mußten immer erkämpft werden

Angesichts dieses bevorstehenden Bankrotts der Politik kann die einzige Aufgabe einer „ökologisch, basisdemokratischen und gewaltfreien“ Partei doch nur der Abbau von Politik sein. Abbau vor allem der staatlichen Überwachung, also Staatsschutz und Verfassungsschutz ab in die Spree! Aber auch Abbau der staatlichen Regulierung und Bevormundung, wo Selbstbestimmung und Selbstverwaltung der Betroffenen unter anderem in den Bezirken, in den Wohnkiezen, in den Mietshäusern wesentlich basisdemokratischer wäre.

Das Prinzip der Selbstverwaltung und Selbstbestimmung steht der bürgerlich-parlamentarischen Demokratie entgegen und ist doch immer noch die einzige Alternative zu diesem erstarrten System, in dem Politik zu reiner Selbstbedienung verkommen ist. Radikale Reformen stehen auf der Tagesordnung. Sie werden gegen die vorherrschenden Interessen des lokalen und des globalen Kapitals von unten durchgesetzt werden müssen.

Die rot-grüne Koalition ist die „Illusion auf eine Zukunft, die der Illusion bedarf“ (frei nach dem ollen Karl Marx). Sie werden und wollen auch nichts Großes ändern, sie werden höchstens die bisherige schwarz-rote Herrschaft ein wenig übertünchen.

Viele Hoffnungen werden enttäuscht, viele werden sich vielleicht darauf zurückbesinnen, daß nur Druck von unten, der sich nicht an die vorgegebenen politischen und gesellschaftlichen Spielregeln hält, Veränderungen hervorbringt.

So ist am Ende vielleicht Rot- Grün doch nicht schlecht für die Linksradikalen in dieser Stadt ... Arnd Krüger