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„Il Fantastico“ im Votavismus

Vize Werder Bremen ertrotzt gegen Meister Borussia Dortmund ein 2:2, und im Weserstadion werden schweißnasse Hände gerungen  ■ Aus Bremen Jochen Grabler

„Weg mit dem, den sollen sie bloß verkaufen.“ – „Der macht doch mit seinem Gequatsche nur die Mannschaft kaputt.“ Ach, so reden sie, die Bremer, wenn sie in den Gastwirtschaften sitzen. „Suuuper!“ – „Der blanke Wahnsinn!“ Und so schwärmen sie, am Samstag im pickepackevollen Weser-Stadion, wenn ER wieder mal aus vollem Lauf den Ball zentimetergenau auf das Haupt eines der nicht gerade gebenedeiten Werder-Stürmer geschnibbelt hat. Schuldenkrise, drohender Arbeitsplatzverlust bei den Werften und im Flugzeugbau – aber gibt es ein anderes Gesprächsthema als IHN? Und SEINEN drohenden Arbeitsplatzverlust? Nein! Eine Stadt stöhnt unter dem Joch des Baslerismus. Und ist hin- und hergerissen: Zwischen Abscheu vor der offensichtlichen Kopfdummheit und der Faszination der Fußgenialität.

So war es unter der Woche, so ging es in den Samstag, und entsprechend gespannt war die versammelte Journaille auf die Bremer Reaktion, wenn Basler den Rasen betreten würde. Die war eindeutig: donnernder Applaus und aufmunternde Sprechchöre, die paar Schmäh-Transparente sind zu vernachlässigen. Stadion- Sprecher Christian Günther begrüßte den Italien-Star in spe – oder doch nicht – mit „Il Fantastico“, und das Publikum konnte den Wochentagsärger ablachen.

Wie spielt so einer, wie spielt die Mannschaft nach einer derartigen Rummelwoche? Um es gleich zu sagen: große Klasse. 90 Minuten schweißnasse Hände. Kein nerviges Ballgeschiebe, keine Mannschaft, die auf Halten gespielt hätte, dafür Strafraumszenen satt, Hurrastil und ordentlich Dramatik. Was das Herz so begehrt. Beide wollten gewinnen, eher selten bei der deutschen Safety-first- Spielweise. „Klar kriegt man dann hinten Probleme“, meinte Werder-Trainer Aad de Mos lapidar und brachte seinen Kollegen Otmar Hitzfeld zum Grinsen. „Aber wir profitieren doch alle vom Risiko: das Publikum und die andere Mannschaft.“

Die hatte in der Tat profitiert, und zwar ziemlich schnell. Vom Anstoß weg waren die Bremer nach vorne gestürmt, und keine Minute war vergangen, da stand es schon 1:0, allerdings für die Dortmunder. Nach einem langen Paß von Lars Ricken war Andreas Möller allemal schneller als Werders Langsamster, Michael Schulz. Man ahnt schon: Das schnelle Führungstor, Werder ist geschockt, Dortmund versucht, das Ergebnis über die Zeit zu schaukeln. Falsch. Dortmund, das war Spielkultur und Kombinationssicherheit und Offensivgeist. Werder, das war nicht allein die Baslersche Genialität, Werder, das war Votavismus pur. Die Mannschaft rackerte und rannte ohn' Unterlaß, allen voran der fast 40jährige Mirko Votava. Und an der Außenlinie stand Aad de Mos und peitschte die Spieler nach vorne.

Allein drei Großchancen gab es für Werder in den ersten zehn Minuten, in der 22. Minute kickte Wladimir Bestschastnich den Ball an den Pfosten. Doch kein Gedanke an Dortmunder Unterlegenheit. Keine zwei Minuten später füßelte Ibrahim Tanko den Ball aus kurzer Entfernung aufs Werder-Tor – und ohne eine „mirakulöse“ (Hitzfeld) Parade Oliver Recks hätte Werder schon zwei Toren nachkämpfen müssen. Doch wiederum kein Gedanke bei Werder, jetzt verschreckt die Defensive zu suchen. Im Gegenteil, kurz vor der Halbzeit war es dann endlich soweit. Marco Bode drückte einen Querpaß von Votava ein. Und fast hätte Bode vor dem Pausentee die Führung geköpft.

So munter die erste Halbzeit war, so flott war die zweite – und wieder gingen die Dortmunder in Führung. Ein feiner Paß von Möller und Patrick Berger lochte ein. Die Bremer mühten sich redlich, doch zwingende Torchancen wurden seltener. Grün-weißes Glück, daß der Dortmunder Lars Ricken einen Befreiungsschlag gegen Bernd Hobschens Rücken donnerte und der Ball ins Tor trudelte.

Ein Unentschieden daheim, nicht gerade das Wunschprogramm der Fans. Doch das hinderte die ganz und gar nicht daran, ihren Helden lautstark zuzujubeln, als das Spiel um war. IHM natürlich auch. Um dann hernach in den Gaststätten um so heftiger wettern zu können: „Weg mit dem!“

Borussia Dortmund: Klos - Sammer - Freund, Kohler, Kutowski - Zorc, Ricken, Möller, Berger - Herrlich (70. Sosa), Tanko (46. Reinhardt)

Zuschauer: 29.700; Tore: 0:1 Möller (1.), 1:1 Bode (45.), 1:2 Berger (59.), 2:2 Hobsch (62.)

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