■ Heute geht H.O.T., der erste deutsche Teleshopping-Kanal, auf Sendung. Uralt-Marketing mit dem Charme von Onkel Herberts Amateurvideos erlebt damit eine Renaissance – und läutet das Zeitalter der industriell gefertigten Sendeminute ein.
: Teleshopping – wie eine Tupperparty im TV

Endlich ist Schluß mit dem Bacardi-Feeling, Schluß mit der Sehnsucht nach nostalgischen Raddampfern in der Abenddämmerung und dem passendem Whisky. Keine Werbespots mehr, die Lebensgefühl versprechen, aber letztlich nur das Konto bei der Raiffeisenbank oder eine Bifi verkaufen wollen. Denn jetzt gibt's die gute, alte Reklame wieder: Das Produkt ist Maß aller Dinge.

Wenn der Fernsehkanal H.O.T., ein Gemeinschaftsunternehmen von Pro 7 und Quelle, heute ab 23 Uhr sein Programm in die Kabelnetze von München und Nürnberg einspeist, sollten die Fans der fünfziger Jahre sich mit ein paar Sektschalen versammeln. Denn die Filmchen von H.O.T. könnten aus längst vergangenen Zeiten stammen: Eine Moderatorin erklärt ganz gemächlich die Vorzüge eines Produkts, ein Experte sekundiert mit seinen Kommentaren – und dann zeigt die Kamera das gute Stück, ausgiebig, in aller Ruhe und von allen Seiten.

Die Moderatorin preist die Vorzüge des Produkts ...

Sehr empfehlenswert ist demnach zum Beispiel der „Horse-Glider“, den H.O.T. in der Sparte Fitneß vorstellt: eine Stahlkonstruktion, die stark an ein Rudergerät erinnert, aber den unschlagbaren Vorteil haben soll, daß die Muskelkraft des Rudernden sinnvoll eingesetzt wird. Denn der „Horse-Glider“, Preis 314 Mark für 13,5 Kilo, ist dank Ingenieursintelligenz solcherart konstruiert, daß der Rudernde durch Einsatz seiner eigenen Kraft wie auf einem Pferd auf- und abschaukelt.

Die Moderatorin jedenfalls teilt uns mit, „daß das Gerät sehr viele Muskelpartien gleichzeitig trainiert“. Das blonde Model neben ihr lächelt, rudert und wippt. Und wäre da unten nicht die 0180-Telefonnummer eingeblendet, unter der man den „Horse-Glider“ bestellen kann, kämen wir uns wirklich vor wie in der Zeit, als „Promotion“ noch ein Fremdwort und Klementine die Ratgeberin aller Hausfrauen war.

Georg Kofler, der Geschäftsführer von Pro 7, freut sich jedenfalls, daß die H.O.T.-Spots billig herzustellen sind. Keine Außenaufnahmen, billige Konservenmusik, und das alles in wenigen Stunden mit minimalem Aufwand abgedreht. Georg Koflers Ziel ist die „industriell gefertigte Sendeminute“ – Reklame vom Fließband, live produziert und möglichst oft wiederholt.

„H.O.T. kann es sich nicht leisten, Entertainment zu produzieren“, sagte Kofler bei der Präsentation von Konzept und Werbefilmen. Denn zum einen wären große Shows oder anspruchsvolle Sendungen schlicht zu teuer. Schon die heute startende Low-budget-Version, so kalkuliert Kofler, wird in den ersten fünf Jahren 100 Millionen Mark verschlingen. Dann erst seien Gewinne zu erwarten.

Zum anderen wäre jede Art von Journalismus ein rechtliches Risiko für H.O.T. Denn Pro 7 und Quelle haben keine Lizenz für den Teleshopping-Kanal. Nach ihrem Rechtsverständnis hat ihr neues Produkt mit normalem Rundfunk nichts zu tun: Es sei bloß ein „elektronisches Kaufhaus“ und daher gar nicht lizenzpflichtig, argumentieren Kofler.

Und so reagierte der Pro-7-Geschäftsführer bei der H.O.T.-Präsentation auch etwas grimmig, als der hauseigene Werbespot „Reisereportagen“ versprach, wie sie „nur im Fernsehen möglich“ seien. ... das blonde Model lächelt, rudert und wippt

Kofler danach knapp: „Die Formulierung ,Reportagen‘ ist gestrichen und zurückgezogen.“

Spontan gibt man Kofler recht, wenn man die paar lahmen Bilder sieht, mit denen eine Mallorca- Reise für 666 Mark verkauft werden soll: Mit einer Reportage hat das nichts zu tun, eher mit einem Amateurvideo von Onkel Herbert. Und doch, wenn man dem agilen, cleveren Geschäftsführer von Pro 7 zuhört, dann wird man den Verdacht nicht los, er würde einem die H.O.T.-Sendungen notfalls auch als „informationsorientiertes Spartenprogramm“ verkaufen, wenn es denn medienrechtlich notwendig wäre.

So verspricht uns Kofler weiter, daß H.O.T. kein „audiovisueller Aldi“ wird. Billigprodukte seien tabu, sagt auch Quelle-Vorstand Sigmund Kiener: „Unsere Eigenmarken werden nicht ins Programm genommen.“ Wer also den Privileg-Kühlschrank oder eine Universum-Musiktruhe will, muß weiterhin im Katalog blättern. Offensichtlich fürchten die Herren von H.O.T. das Ramsch-Image, wie es die amerikanischen Shopping-Kanäle haben.

Beide Seiten, Quelle und Pro 7, riskieren ihre Millionen, weil sie in einer ähnlich schwierigen Situation stecken: Im klassischen Versandhandel sind kaum noch Umsatzsteigerungen zu holen, ganz ähnlich sieht es im klassischen Kommerzfernsehen aus. Das Versandunternehmen Quelle jedenfalls, so sagt Sigmund Kiener, erhofft sich durch H.O.T. den Zugriff auf die Portemonnaies einer neuen Kundengruppe: „Menschen unter dreißig, also die Game-boy-Generation, sind unsere Zielgruppe.“

Nun wissen wir leider nicht, ob Kiener jemals ein Musikvideo gesehen hat oder MTV für die Abkürzung von Manteltarifvertrag hält. Doch daß der „Horse-Glider“ oder das von allen Seiten gefilmte „fabelhafte Goldcollier mit einer Länge von 42 Zentimetern“ den Teens und Twens ziemlich egal ist – dafür würde ich meine Fernbedienung verwetten. Felix Berth