Die Straße nach Sarajevo ist leer

Der mit dem Waffenstillstand verbundene freie Zugang nach Sarajevo und Goražde ist nicht verwirklicht worden. Aber das Leben in der bosnischen Hauptstadt ist erträglicher geworden  ■ Aus Sarajevo Erich Rathfelder

Die UNO-Posten stehen gelangweilt vor dem Hauptquartier der Blauhelme in Kiseljak herum. Die UNO-Kasernen in dem rund 20 Kilometer von Sarajevo entfernten Ort liegen auf einem Hügel über der Stadt. Ein umfangreicher Fuhrpark von UN- Fahrzeugen und Panzern ist entlang der Straße aufgereiht. Von Kiseljak aus ist über Jahre hinweg die humanitäre Hilfe für Sarajevo abgewickelt worden — soweit die serbische Seite dies zugelassen hat. Hier sammeln sich auch jetzt die Konvois mit Hilfsgütern, die dann durch das serbisch besetzte Gebiet in die Stadt geleitet werden.

„Die Straße nach Sarajevo ist offen“, sagt ein französischer Offizier im Pressebüro des UNO- Hauptquartiers, „die Bestimmungen des Waffenstillstandsabkommen wurden umgesetzt.“ UNO- Fahrzeuge dürften jetzt ungehindert in die Stadt. „Und die Zivilisten, die Bevölkerung von Sarajevo?“ Der Offizier wiegt den Kopf. Das wisse er nicht genau, das wüßten die Leute vom Transportbataillon.

Was der UNO-Offizier nicht so genau weiß, ist jedoch einer der zentralen Punkte in dem Waffenstillstandsabkommen, das in den letzten Wochen durch den US- amerikanischen Unterhändler Richard Holbrooke ausgehandelt worden ist. Die Straße von und nach Sarajevo sollte demnach für jeden frei befahrbar sein. Doch statt eines Fahrzeugsstroms ist auch an diesem Wochenende die Straße leer. „Kein einziges ziviles Fahrzeug aus Sarajevo ist hier durchgekommen“, grummelt ein Tankwart. Andere Bewohner von Kiseljak bestätigen dies. „Die Tschetniks haben ihren Kontrollpunkt bei Ilidza nicht verlassen. Wer will denn unter diesen Umständen die Straße benutzen, ich jedenfalls bin nicht lebensmüde“, sagt ein Geschäftsmann.

Wer nach Sarajevo will, muß nach wie vor die Piste über dem Berg Igman nach Sarajevo nehmen. Und muß dann stundenlang in der Schlange stehen, bis die Fahrzeuge über den von der UNO kontrollierten Flughafen in die Stadt fahren dürfen. 300 Lastwagen und Hunderte von Privatautos warten hier darauf, nach Sarajevo zu gelangen. Dafür ist eine Genehmigung der bosnischen Behörden notwendig. Von UNO-Soldaten werden die Autos nach Waffen durchsucht. „Die Versorgung ist jetzt immerhin gewährleistet, und noch ein bißchen mehr“, sagt ein Lastwagenfahrer, der Stromkabel in den Sarajevo vorgelagerten Ort Hrasnici transportiert. Diese Kabel sind Teil eines Stromversorgungsprojektes, für das die Bundesrepublik Deutschland mehr als 10 Millionen Mark aufwenden will. Mit der Verlegung der Kabel von Zentralbosnien aus über den Berg Igman nach Sarajevo soll die Stadt von den jetzt bestehenden Stromleitungen unabhängiger gemacht werden. „Karadžić kann die alten Stromleitungen ja jederzeit wieder unterbrechen lassen“, erklärt der Fahrer.

Seit dem Waffenstillstandsabkommen fließt der Strom von Zentralbosnien aus über serbisch besetztes Gebiet wieder durch die reparierten Leitungen in die Stadt. Und er reicht sogar dazu aus, die Straßenlampen wieder zum Leuchten zu bringen. Es ist ein ungewohntes Gefühl, in Sarajevo nachts ohne Taschenlampe und Kerzen auszukommen. Sprachen die Menschen noch vor wenigen Tagen von Glück, wenn irgendwann einmal nachts für wenige Stunden Strom geliefert wurde, so gibt es jetzt dauernd welchen.

„Ich knipse den Schalter an, und es ist Licht“, lacht Zamira P. Die 30jährige Lehrerin hatte sich daran gewöhnt, bei Kerzenlicht zu arbeiten. „Wenn es Strom gab, und war es 4 Uhr früh, habe ich schnell Wasser heiß gemacht, wir konnten uns die Haare waschen, warmes Essen zubereiten, den Staubsauger in Gang setzen.“ Jetzt hofft Zamira P., daß das fließende Wasser nicht nur für zwei oder drei Stunden kommt. „Immerhin brauche ich schon jetzt nicht mehr die Kanister von den Wasserstellen vier Stockwerke hoch nach oben zu schleppen.“

Es sind diese kleinen und doch so wichtigen Erleichterungen für das tägliche Leben, die die Menschen in Sarajevo aufatmen läßt. Daß die Straßen zur Außenwelt immer noch nicht frei befahrbar sind, ist aus dieser Perspektive erst ein zweitrangiges Problem. Aber schon wird Kritik an der eigenen Regierung laut. Warum, so fragen sich viele, wird von der Regierung nur verhalten dagegen protestiert, daß die Karadžić-Serben immer noch nicht die Zufahrtsstraßen freigegeben haben?

„Die UNO will jeden Konflikt mit den Serben meiden. Und die bosnische Regierung will selbst nichts überstürzen, denn würde die Stadt völlig geöffnet, würden die meisten Menschen weg wollen, Ferien machen, einfach nicht mehr eingesperrt sein, die Stadt würde sich leeren.“ Die Studentin Maria P. ist Katholikin. Ihr größter Wunsch ist es, sobald wie möglich nach Kroatien abzuhauen. „Meine Familie hat ein Haus an der Küste, da würde ich mich zunächst einmal vom Krieg ausruhen und dann weitersehen.“