Erdbeben erschüttert Schwedens Atomindustrie

■ Die einst lange Liste der Atomklostandorte schnurrt rasant zusammen

Stockholm (taz) – Nur einige Minuten bebte am Mittwoch vorletzter Woche die Erde an der Westküste Schwedens. Im internationalen Vergleich war das Beben der Stärke vier auf der Richterskala nicht besonders aufregend. Doch die schwedische Atomindustrie wurde dadurch aufs heftigste erschüttert: Ein weiteres Mal wurden ihre Prognosen und Analysen als substanzlose Wunschvorstellungen demaskiert. Der angeblich für 100.000 Jahre bombensichere Platz für das nationale Atomklo liegt ganz offenbar in einem erdbebengefährdeten Gebiet.

Unweit des AKW Ringhals, das sich im übrigen trotz des Erdbebens nicht automatisch abschaltete, so wie es die eingebaute Technik angeblich sicherstellen sollte, liegt Varberg. Der Platz sei für ein Atomlager ein besonders geeigneter Ort, behauptete die staatliche Atommüllbehörde SKB bis vor ein paar Tagen noch mit einiger Glaubwürdigkeit. 500 Meter tief im schwedischen Urgestein werde die hochradioaktive Hinterlassenschaft des Atomzeitalters selbst die nächsten Eiszeiten gefahrlos überstehen, verkünden die Hochglanzbroschüren der SKB. Kein Land sei von den natürlichen Voraussetzungen her so atommüllagerfreundlich wie Schweden.

Varberg war bis vor kurzem einer der Orte, der von einer noch vor einem Jahr imponierend langen Liste möglicher Standorte für ein Atommüllendlager übriggeblieben war. Doch die ursprüngliche SKB-Auswahl von neun Lagerplätzen ist seither massiv geschrumpft: Nach wenigen Monaten mußten drei Gemeinden gestrichen werden, weil die Kommunalvertretungen nein sagten. Storuman, der zunächst aussichtsreichste Lagerort, wo die SKB mit Propagandamitteln massivst geklotzt hatte, schwor dann Mitte September in einer Volksabstimmung der strahlenden Zukunft ebenfalls ab. Nun kann wohl aus geologischen Gründen auch Varberg abgehakt werden.

Bei SKB hält man trotz des Bebens offiziell zwar noch an dem Ort fest. Aber die Stimmung in der Bevölkerung ist spätestens seit der Nacht der wackelnden Häuser auch hier deutlich ins Nein umgeschlagen. Die Gemeindevertretung wird sich nicht darüber hinwegsetzen können.

Bleiben also noch vier Orte übrig. In drei von ihnen, Oskarshamn, Nyköping und Östhammar, sind Atomreaktoren oder Atomindustrie bereits angesiedelt. Bei der SKB hoffte man deshalb gerade dort auf geringeren öffentlichen Widerstand. Doch von den geologischen Voraussetzungen her sind diese Orte zugleich die schwierigsten. Die PolitikerInnen in Stockholm wollen außerdem eine Kombination von Atomklo und Atomindustrie möglichst vermeiden, zumal es sich bei den drei Orten um relativ dicht besiedelte Gebiete handelt.

Somit ist Mala, eine Einödgemeinde, wohl jetzt der Wunschort der Atomindustrie. Nachdem aber schon vier vergleichbare Kommunen dem SKB bewiesen haben, daß sie trotz hoher Arbeitslosigkeit und dem Versprechen neuer Industrieansiedlungen nein zum Atomklo sagten, sieht es im Augenblick für den schwedischen Strahlenmüll zappenduster aus. Doch die Regierung in Stockholm hat sich festgelegt: Wird von der SKB kein konkretes Endlagerkonzept vorgelegt, sollen die Betriebsgenehmigungen für die Atomreaktoren nicht verlängern werden. Spätestens 1998 will man in Stockholm zwei potentielle Lagerorte genannt haben, die nicht nur geologisch geeignet sind, sondern bei denen die BewohnerInnen auch ja zum Atomklo sagen. Reinhard Wolff