Tango im Schafpelz

■ Die Sinnlichkeit des Südens gastierte im Überseemuseum: Dino Salizzi im Konzert

Musikstile machen oft die abenteuerlichsten Verwandlungen durch: Der Tango begann seine Laufbahn als von den gebildeten Argentiniern verachtete Bordellmusik, und das Bandoneon galt als ordinär quäkende Quetschkommode. Erst nachdem er in Europa in Mode kam, wurde der Tango als anrüchiger Verwandter des Blues auch in seinem Geburtsland langsam ernstgenommen. Spätestens seit den Erfolgenvon Astor Piazolla hat sich der Tango schließlich als Kunstmusik durchgesetzt, der man in Konzertsälen lauscht und deren Sinnlichkeit nun stubenrein ist – was einst derb anmutete, schimmert hier nun sehr subtil durch.

Seit dem Tod von Piazolla gilt Dino Saluzzi als sein legitimer Erbe auf dem Bandoneon. Denn wie dieser läßt er den Tango frei schweben, indem er ihn nicht als musikalisches Gerüst benutzt, an dessen Regeln sich die Musiker zu halten haben, sondern als Grundstimmung, die jeder Komposition ihre persönliche Tonfärbung gibt.

Diese melancholische und sanfte Atmosphäre machte den Auftritt am Sonntagabend im Lichthof des Überseemuseums zu einem besonders kulinarischen Konzerterlebnis. Denn die drei Musiker, auf Einladung von „dacapo“ in Bremen, ergänzten sich ideal. Der Vibraphonist David Friedman spielte fast ausschließlich die hölzerne Marimba, deren warmer, organischer Ton Saluzzis singendes Bandoneon umschmeichelte und noch weicher klingen ließ. Der Bassist Paul Cox spielte sehr entspannt und melodisch und gab der Musik dann doch an entscheidenen Stellen den nötigen Biß, sodaß die Zuhörer nicht völlig im bequemen Wohlklang versanken.

Neben Gruppenimprovisationen, die zum Teil erstaunlich frei waren, und dennoch die Grundstimmung nie verdarben, wurden in erster Linie Stücke von Saluzzi gespielt. Aber man hatte nie das Gefühl, die anderen Musiker würden „nur“ seine Musik begleiten. Dies war wirkliche Triomusik, bei der jeder genau auf den anderen hörte, und aus der Reibung der verschiedenen Temperamente musikalische Funken schlugen.

Alle drei spielten virtuos mit der Stille. Die Pausen und Aussparungen gaben der Mischung aus Folklore, Jazz und Kammermusik ihre ganz eigene zögernde Zärtlichkeit. Selbst das Plätschern des Fischbachs weit hinten in der Museumsdekoration paßte so gut zu dieser musikalischen Muße, daß man dem Trio fast empfehlen würde, bei Auftritten immer solch einen Naturklang mitschwingen zu lassen.

Ähnlich natürlich ließ Saluzzi auch sein Instrument klingen: Oft zog er den Blasebalg so an, daß es sich wie ein tiefes Luftholen anhörte, und dann erzählte er mit seinen Fingern ganze Melodramen auf der Tastatur. Sein Bandoneon sang, klagte, jubilierte und tanzte, und man mochte gar nicht glauben, daß dieser klobige Mann aus dem Holzkasten soviel Poesie herauszuholen vermag. Willy Taub