Sanssouci: Nachschlag
■ Reißer und Lebenskrise: Theaterpremieren der letzten Woche
In Leopoldo Triestes Stück „Die Umarmung“ gibt es eine „Straße nach Norden“, und irgendwann sagt jemand mit fester Stimme: „Nicht ohne dich.“ Ein klassischer Reißer. Italienischer Jude kehrt 1945 aus einem deutschen Lager nach Rom zurück und will sich an dem Freund rächen, der ihn an die SS verraten hat. Die von beiden geliebte Ziehschwester des Juden spielt eine entscheidende Rolle, der gemeinsam geplante Vertrieb von Pornofilmen platzt, eine Frau wird schwanger, ein Mann erschossen. Der heute 78jährige Trieste, (bekannt als Schauspieler bei Fellini oder Coppola) will den Dreiakter 1946 in drei Nächten geschrieben haben. Nicht ganz unbedarftes Spannungstheater mit neorealistischen Anklängen, was völlig in Ordnung ist. Vorzuwerfen wäre allerdings die Reduktion des jüdischen Heimkehrerschicksals auf ein Motiv für psychologische Erpressung. Und auch auf manche erstaufklärerischen Sätze über KZs müßte man mittlerweile eigentlich verzichten können.
Peter Schulz hat in den Kammerspielen des Deutschen Theaters einen großen Lüster aufgehängt, läßt hinter einem Fenster zur Straße hübsch melancholischen Regen einspielen, und Michael Gruner erstinszenierte dieses Kammerspiel entsprechend filmisch. Daniel Morgenroth spielt den Judas Massimo molto italiano, seinen Gangsterkumpan zeigt Götz Schubert als unbeherrschten Biedermann, Cathlen Gawlich wirkt als Massimos schwangere Ex-Geliebte immerzu beschwipst, Ulrike Krumbiegel ist als Ziehschwester Lucia im roten Kleid ganz die schöne Kluge und Gerd David als Heimkehrer Daniele der nervöse Intellektuelle. Abziehbildchen, denen man nicht ungern zuschaut, aber insgesamt hätte man die ganze Angelegenheit doch eher in einem Privattheater erwartet.
Nächste Vorstellung am 27.10., 19.30 Uhr, Schumannstr. 13a
Henry „Marcello“ Hübchen Foto: David Baltzer/Sequenz
Noch mal Italien, Fellini und Film, aber in ganz anderer Dimension: Frank Castorf hat Federico Fellinis „Stadt der Frauen“ von 1979 auf die Bühne gebracht. Er hat Henry Hübchen in die Mastroianni-Rolle des alternden Durchschnittsmannes gesteckt, der in einer Alptraumphantasie zwischen organisierte Feministinnen gerät. Er hat versucht, diesen optisch perfekt komponierten Irrwitzschwenk durch Kastrationsängste und feministischen Wahn mit Theatermitteln zu bebildern. Er befindet sich – offenbar – in einer Midlife-crisis. „You can be the next“ steht über einem laubsägeartigen Tor mit Silberlamévorhang von Bert Neumann, durch das Hübchen (in trefflicher Mastroianni-Maske) in die psychoanalytische Groteske gerät. Es kann jedem passieren, daß man eines Tages die Welt und sich selbst darin nicht mehr versteht, aber muß man deswegen gleich pennälerhaft etwas tun, das im besten Fall doch nur „ähnlich“ werden kann? (Ganz zu schweigen davon, daß auch das Original Patina angesetzt hat, was den Diskussionsstand betrifft.)
Zur Geschichte. Bei Fellini sitzt Mastroianni alias Marcello Snaporaz in einem Zugabteil einer schönen Frau gegenüber. Sie fahren durch einen Tunnel, und der Traum beginnt. Er folgt ihr erst ins Klo, dann zu einem feministischen Kongreß („Eignen wir uns die Klangfülle der Vagina wieder an!“) und wird fortan verfolgt, als Lustobjekt oder als Ignorant und Unterdrücker. Letztlich landet er vor einem Frauengericht, das ihn wahlweise zur Findung seines weiblichen Ichs oder zum Tode verurteilt.
Castorf beginnt mit einer Referenz: in einem Kinoparkett, das quer zum Zuschauerraum der Volksbühne auf der Vorderbühne erbaut wurde. Dann aber ist schon Schluß mit der Distanz, und die Inszenierung springt am filmischen Vorbild entlang durch die Handlung. Einige Szenen werden als Zitate übersetzt (Mopedfahrt = Kinositzreihe, die als Bollerwagen herumgezogen wird etc.), andere sind Anlässe für Castorfsche Extempores. Den SchauspielerInnen ist nichts vorzuwerfen. Hübchen ist Mastroianni ähnlich wie ein täppischer kleiner Bruder; Sophie Rois, Astrid Meyerfeldt und Kathrin Angerer sind als Feministinnenchargen sexy und knöchern zugleich, und Jürg Kienberger als Mitfrau und Musiker in clownesk-aristokratischer Häkchenhaltung ist als Volksbühnenzutat der poetische Anker des Abends.
Es gibt schöne Arrangements, reine Theateranlässe mit einem Spielzeugpenis auf Rädern, echten Tieren und rotierender Drehbühne. Aber im Laufe der drei Stunden verläppern die Ideen. Die Inszenierung wird „unähnlicher“, erzählt aber auch nichts Eigenes. Aus Fellinis Kaleidoskop wird Potenz-/Impotenzkitsch und kein Ende. Man hätte am Rand sitzen und sich schon nach der Hälfte bei einem Bier fragen sollen, was eigentlich aus dem Konzeptpunk der Volksbühne geworden ist. Der Chefdramaturg Carl Georg Hegemann ist zu Leander Haußmann nach Bochum gegangen, und Castorf, der Eisenhändler, kommt mit 44 in die Jahre (Alteisenhändler). You can be the next – auch ein Hinweis für regieführende Vatermörder. Petra Kohse
Nächste Vorstellungen heute sowie 21./22. 10., 19.30 Uhr, Rosa- Luxemburg-Platz, Mitte
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