„Bärchen“ mit der Keule erschlagen

In einem heruntergekommenen Haus in der Linienstraße in Mitte wurde ein Alkoholiker von Kumpanen umgebracht. Saufbrüder sorgten zuvor bei Anwohnern für Angst und Schrecken  ■ Von Plutonia Plarre

Im Hauseingang türmt sich der Müll. Verrostete Fahrradteile, leere Bierdosen und zersplitterte Holzlatten sind notdürftig aus dem Weg geschoben. Von den Wänden blättert der Putz. „Es könnte alles so einfach sein“, hat jemand mit dicken Buchstaben über einen Treppenabsatz gemalt und dahinter zwei Ausrufezeichen gemacht.

Im zweiten Stock steht eine von drei Wohnungstüren einen Spalt offen. „Sir Gernetzky“ heißt es auf dem selbstgebastelten Namensschild neben einer amerikanischen Fahne und einem Harley-Davidson-Emblem. Drinnen sind drei gummibehandschuhte Kriminalbeamte auf Spurensuche, denn der 40jährige Wohnungsinhaber Bernd Gernetzky wurde hier am Samstag umgebracht.

Die Tat in dem Haus in der Linienstraße 142/143 in Mitte scheint so gut wie aufgeklärt zu sein. Wenige Stunden nachdem ein alter Kumpel den Toten in der Wohnung fand, wurden die 33jährige Andrea G. und ihr englischer Freund Chad festgenommen. Inzwischen ist gegen die beiden Haftbefehl wegen Mordes ergangen. Die Staatsanwaltschaft geht nach Angaben von Justizsprecher Rüdiger Reiff von Rache als Tatmotiv aus. Das Opfer soll Andrea G. sexuell belästigt haben. Inwieweit dies zutrifft, wird das Gericht zu klären haben.

Fakt ist: Der seit mehreren Jahren in Berlin lebende Chad und dessen Freundin Andrea gehören zu einer zumeist aus Engländern bestehenden Gruppe, die in dem heruntergekommenen Haus in der Linienstraße mit ihren Saufeskapaden und Gewaltausbrüchen Angst und Schrecken verbreiten. Eigentlich ist es keine Gruppe, sondern ein loser Zusammenschluß von 10 bis 30 Leuten, die sich nach und nach in den leerstehenden Wohnungen der Linienstraße breitmachten und andere Säufer und Obdachlose nach sich zogen. Auch auf dem Dachboden und im Keller nisteten sie sich ein. Ihren Lebensunterhalt und den Alk sollen sie angeblich durch Musik in der U-Bahn und Betteln bestreiten. In den Sommermonaten raubten die grölenden, sich streitenden und schlagenden Horden der Anwohnerschaft den Schlaf. Mit Äxten seien sie aufeinander losgegangen, auch von der versuchten Vergewaltigung einer Nachbarin wird berichtet. Namentlich will jedoch keiner der Zeugen genannt werden. Der Grund: Angst. Der als besonders aggressiv beschriebene Chad säße zwar im Knast, aber die anderen seien noch da.

Das Haus wird von der Wohnungsbaugesellschaft Mitte verwaltet, die nach Angaben der zuständigen Mitarbeiterin Rosemarie Skwarra nichts Grundlegendes unternehmen könne, weil die Eigentumsverhältnisse immer noch nicht geklärt seien. Vom Tod Bernd Gernetzkys erfuhr sie erst gestern durch die taz. „Das Haus ist unser Problemhaus, aber wir sind machtlos“, klagte die Frau, die sich selbst nur noch mit mehreren Kobs in die Linienstraße 142/43 hineintraut. Die meisten Wohnungen seien offiziell vermietet, würden aber von vielen Illegalen bewohnt. Die „normalen“ Mieter täten ihr auch sehr leid.

Bernd Gernetzky gehörte zu den sogenannten normalen legalen Mietern. „Er war Vollalkoholiker, aber ein netter, drolliger Mensch. Nicht umsonst hatte er den Spitznamen Bärchen“, wird über ihn berichtet. In der Nacht vor seinem Tod soll er mit Andrea und Chad gesoffen haben. Am nächsten Tag, so heißt es weiter, sei Chad mit einer Baseballkeule „I kill him, I kill him“ schreiend durch das Haus gerannt. Als er Gernetzkys Wohnungstür eintrat, informierte ein Mieter die Polizei, die aber nicht gekommen sei. Vor der Tat sei das Gerücht durch das Haus gegeistert, Gernetzky habe Andrea vergewaltigt. Doch glauben mag man das nicht so recht. „Gernetzky konnte kaum noch laufen, seine Beine waren vom Alk ganz kaputt.“ Und Andrea sei eine große kräftige Frau. Warum dann aber die Tat? „Das war nur noch eine Frage der Zeit, irgendwann mußte es zu so etwas kommen“, sagt ein Mitbewohner.