■ Berliner Polizei genehmigte Straßenschlacht
: Ein Kampf mit Eiern und Tomaten

Berlin (taz) – Ein solches Schreiben hatte selbst der in radikalen Angelegenheiten geschulte Berliner Staatsschutz noch nicht auf dem Schreibtisch. „Sehr geehrte Damen und Herren“, schrieb Freke Over, Hausbesetzer und PDS-Direktkandidat im Ostberliner Stadtbezirk Friedrichshain, „ich möchte hiermit, bei Ihnen, eine Straßenschlacht anmelden.“ Ort der militanten Begehrlichkeit sollte, wie könnte es anders sein, der Kreuzberger Heinrichplatz sein, seit alters her bevorzugter Paradeplatz für die schwarzroten und grünen Kampfgruppen.

Und siehe: Die Polizei tat, wie ihr geheißen. Sie sperrte den Heinrichplatz weiträumig ab, umleitete den Verkehr und ließ den Kontrahenten ansonsten freies Spiel. Die „erste anständige Straßenschlacht“ Berlins wurde nämlich nicht zwischen Kreuzberger Autonomen und der Berliner Polizei ausgetragen, sondern zwischen den autonomen Zwerchfellterroristen der Kreuzberger Patriotischen Demokraten/Realistisches Zentrum (KPD/RZ) und der „AG Junge GenossInnen“ der PDS.

Am vergangenen Sonntag, eine Woche vor dem Ende des bislang ödesten Wahlfriedens in Berlin, war es soweit. Punkt 14.36 Uhr bog der fahnengeschmückte NVA-Laster der PDS um die Ecke und näherte sich unter den klassenkämpferischen Salven von Ernst Busch dem Ort der Entscheidung. Die ehrliche Empörung über die Eindringlinge aus dem Osten verschaffte sich auf der Gegnerseite augenblicklich Luft. Mehr als eine halbe Stunde ging ein wahrer Tomaten-, Eier- und Zucchinihagel auf die junge Garde des Proletariats nieder, die sich redlich mit weichgekochten Spaghettis zu wehren versuchte. Bevor der eigentliche Wettkampf (Club-Cola- Kampftrinken, Wahlreden halten usw.) über den eigens errichteten Boxring gehen konnte, gab es bereits die ersten Verluste. Steffen Zillich, PDS-Abgeordneter im Landtag und am 22. Oktober Direktkandidat in Kreuzberg, wurde von einem Kommando der KPD/RZ entführt. Schlagender Beweis: Zwei Polaroidfotos von Zillich, im Hintergrund ein Transparent mit der Aufschrift: „Steffen Zillich, Gefangener der Bewegung 25. September“. (Hinterher konnte keiner erklären, was denn am 25. September geschehen sei). Im Gegenzug kidnappte die „Familie“, eine nur in Friedrichshain bekannte, PDS-nahe Kulturformation, den Kreuzberger Kandidaten der „extremen Mitte“. Daß das Wahlspektakel, bei dem sich die Fernsehteams gegenseitig auf den Füße traten, trotz aller Satire auf die Einfallslosigkeit der etablierten Parteien, einen realpolitischen Hintergrund hat, zeigt ein Blick auf die letzten Wahlergebnisse. Die bereits 1988 gegründete Kaderschmiede der Spaßguerilla („Rauchverbot in Einbahnstraßen“ – „Nachtflugverbot für Pollen“) erzielte kreuzbergweit zwar nur 2,3 Prozent. In manchen Wahlkreisen, wie der Oranienstraße, kamen die militanten Humoristen allerdings auf über 17 Prozent. Grund genug für die PDS, um ihren politischen Sprung nach Westberlin zu fürchten. Jede Stimme für die KPD/RZ, so die Rechnung, ist womöglich eine Stimme, die die Kreuzberger PDS an der Fünfprozenthürde scheitern lassen könnte. Dies um so mehr, als die KPD/RZ in diesem Jahr gar landesweit antritt und mit dem Heino-Imitat „Der wahre Heino“ und dem Sänger der Rockband „Die Ärzte“ zwei Spitzenkandidaten vorweisen kann, die es an Charisma mit Eberhard Diepgen (CDU) und Ingrid Stahmer (SPD) gemeinsam aufnehmen.

Was also lag näher, als das wegen mangelnder Kreativität und fortschreitender Einfallslosigkeit angeschlagene Image der Kreuzberger PDS mit einer autonomen Einlage humoristisch aufzubessern. Gesagt, getan. Eine Woche vor der Straßenschlacht hatte ein Kommando der AG Junge GenossInnen die „heimliche Parteizentrale“ der KPD/RZ, das Kreuzberger Wirtshaus „Enzian“, überfallen und ein Flugblatt hinterlassen, auf dem die KPD/RZ des Reformismus bezichtigt wird („Warum Schließung der Pollenflughäfen, warum nicht gleich Schließung der Pollenindustrie?“). Die KPD/RZ ward zum Duell gefordert. Motto: „Der Heinrichplatz wird Euer Waterloo.“ Die KPD/RZ („alle sind bestechlich, wir sind teurer“), die mehr noch als einen Einzug der PDS ins Bezirksparlament den eigenen Erfolg bei den Wählern fürchtet, hatte keine Wahl. Allzu groß waren die Erwartungen der zahlreichen Anhänger, die am 13. Oktober noch einmal mit dem Schlachtruf „Ruhe!“ und „Keine Gewalt, sonst knallt's!“ durch das Stammland ihrer Partei zogen.

Wer am Ende die Nase vorne hatte, war am Sonntag nicht zu entscheiden. Die Jury aus „Vertretern der freien Presse“, also der taz, der Jungen Welt und des Neuen Deutschland erwies sich als bestochen, und die Basis der KPD/RZ ließ sich von den Genossen nicht beeindrucken. Sie feuerte mit Gemüse auf die Redner und bestand auf dem Heimvorteil des Originals gegenüber der Kopie. Daß auch eine Zwangsvereinigung der beiden mehrheitsfähigen Splittergruppen nicht von vorneherein ausgeschlossen ist, bewies der zufällige Auftritt der grünen Spitzenkandidatin und Kreuzberger Baustadträtin Erika Romberg. Kaum hatte Romberg ihr Wahlkampffahrrad abgestellt, wurde das Gefährt „des gemeinsamen politischen Gegners“ von den vereinigten Kräften der KPD/RZ und der PDS-Jugend mit dem letzten Aufgebot an Gemüseresten unter Beschuß genommen. Uwe Rada