Schreck für King Kong

■ Nach großem Siegeszug beim Tischtennis-Weltcup in Nimes unterlag Jörg Roßkopf erst Weltmeister Kong aus China

Berlin (taz/dpa) – Es ist kein Geheimnis, welchen Titel sich der Tischtennisspieler Jörg Roßkopf als Höhepunkt seiner Karriere gern einverleiben möchte: den des Olympiasiegers. Und zwar nicht im Doppel, wo er gemeinsam mit Steffen Fetzner bereits 1992 olympisches Silber holte und 1989 sogar Weltmeister wurde, sondern im Einzel. Einzeltitel waren für Roßkopf seit jeher das höchste Ziel, sein Europameisterschaftsgewinn von 1992 steht in dieser Rubrik jedoch noch ziemlich einsam zu Buche. Bei Weltmeisterschaften wollte es bisher noch gar nicht recht klappen, zuletzt, im Mai 1995, schied er im chinesischen Tianjin gegen seinen Klubkollegen Wladimir Samsonow bereits im Achtelfinale aus. Auch beim olympischen Turnier in Barcelona hatte es nur zu einem fünften Rang gereicht. Viel für fast jeden anderen, zu wenig für Roßkopf, den besten deutschen Zelluloidprügler aller Zeiten, der bereits mit 15 sein erstes Länderspiel bestritt.

Nun ist er 26, verheiratet, hat eine Tochter und baut ein Haus – höchste Zeit für den großen Coup. Diesen will er im nächsten Jahr bei den Olympischen Spielen in Atlanta landen und dafür stellt er schon jetzt die Weichen. Will heißen: das Engagement zum Wohle des Kollektivs, sei es Verein oder Nationalmannschaft, wird zurückgeschraubt, im Vordergrund steht das Individuum Roßkopf. In Bundesliga oder Europaliga pausiert er häufiger, um den dichtgedrängten Terminplan zu entzerren und die Verletzungsgefahr zu reduzieren, dafür konzentriert er sich auf große und nicht zuletzt lukrative Einzelturniere.

Vordergründiges Ziel ist, neben der Geldbeschaffung für die Bautätigkeit, die Verbesserung des Weltranglistenplatzes. Sechster ist der Düsseldorfer derzeit, mindestens den vierten Platz will er erklimmen. Dieser nämlich würde für die Setzliste in Atlanta bedeuten, daß Roßkopf bis zum Halbfinale die dicken Brocken als Gegner weitgehend erspart blieben.

Die Sache klappt hervorragend. Vor einigen Wochen gewann er den stark besetzten European Masters Cup in Hameln, am Wochenende düpierte er beim Weltcup in Nimes fast die gesamte Weltelite und war auch im Finale gegen den chinesischen Weltmeister Kong Linghui keineswegs chancenlos. „Der Erfolg in Hameln hat mein Selbstvertrauen gestärkt“, sagt Roßkopf, und sogar Coach Zlatko Cordas war schwer beeindruckt: „Ich arbeite seit über zehn Jahren mit Jörg, aber niemals zuvor hat er solange konstant auf einem so hohen Niveau gespielt.“

Trotz des aufgepäppelten Selbstbewußtseins hatte selbst Roßkopf offenbar nicht damit gerechnet, daß er beim Weltcup, der für ihn „nach Olympia und WM das wichtigste Turnier“ ist, ins Endspiel kommen würde. „Mein Nahziel war zunächst, die Vorrunde zu überstehen und ins Viertelfinale zu kommen.“ Seinen Rückflug hatte er ziemlich kleinmütig für den Finaltag gebucht, ein Fauxpas, den er später gern korrigierte. In der Vorrunde verlor er zwar gegen den Franzosen Patrick Chila, kam aber nach Siegen gegen Zoran Primorac (Kroatien) und den schwedischen Weltranglisten- Fünften und Olympiasieger Jan- Ove Waldner ins Viertelfinale, wo er dem belgischen Europameister Jean-Michel Saive, Dritter der Weltrangliste, das Nachsehen gab.

Im Halbfinale trauten dann 2.000 begeisterte Zuschauer kaum ihren Augen, als Roßkopf den Vizeweltmeister Liu Guoliang aus China im fünften Satz mit 21:5 deklassierte. „Roßkopf hat unglaublich aggressiv und viel zu schnell für meinen Mann gespielt“, sagte der chinesische Trainer Hui Jun anerkennend. Die spielerischen Qualitäten Roßkopfs bekam im Endspiel zunächst auch der für Ochsenhausen in der Bundesliga spielnde Kong Linghui zu spüren. Er verlor den ersten Satz, und dann hatte Roßkopf im zweiten Satz zwei, im dritten sogar sechs Satzbälle. „King Kong“ wehrte diese jedoch ab und gewann schließlich 18:21, 24:22, 22:20, 21:14.

Roßkopf war dennoch zufrieden. „Es sagt einiges über meine Form aus, wenn ich den Vizeweltmeister mit 21:5 im letzten Satz besiege. Dabei habe ich wirklich mehrere unglaubliche Bälle gespielt.“ Die Träume von der Goldmedaille in Atlanta sind seit Nimes mit Sicherheit intensiver geworden. Matti Lieske