■ Zum Thema
: Die fünf Köpfe der Medusa

Die deutschsprachige Gegenwartsliteratur in „fünf Literaturen“ zu unterteilen ist ebenso gängig wie umstritten. Wie die Köpfe der Medusa recken sich die deutschsprachigen Literaturen der Bundesrepublik, der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik, Österreichs, der Schweiz und Rumäniens dem Leser entgegen. Welchen Platz nimmt die deutschsprachige Literatur der Einwanderer ein – sechster Kopf oder fünftes Rad am Wagen? Die Literatur der vor über 30 Jahren nach Deutschland immmigrierten Italiener, Türken, Spanier, Griechen, Araber und andere als „Gastarbeiter“ oder „Ausländerliteratur“ zu deklarieren, ist ein ebensolches Politikum wie die Trennung in In- und Ausländergesetzgebung. Was sich nicht integrieren läßt, wird ins Reservat verwiesen.

Die Eckpfähle des Reservats – Exotismus, Ausländerschicksal, Orientklischee Fremdheit – sind genau abgesteckt und werden von Kritikern und einigen Autoren immer wieder festgeklopft. Viele haben sich ins Reservat hineingeschrieben, andere sind unfreiwillig dort gelandet. Wer sich von dort herausschreiben will, hat es schwer. Denn das deutsche Lesepublikum fürchtet geöffnete Gatter. Das abgeschlossene Reservat läßt sich bequem umrunden, man bestaunt die darin befindlichen Exoten, fühlt mit einem gewissen Prickeln ihre Andersartigkeit und bleibt dabei in heimeliger, sicherer Distanz. Eine solche Begegnung bleibt ein Ausflug in die literarische Provinz. Hätten ein Salman Rushdie, ein Hanif Kureishi im deutschen Reservat jemals eine Chance gehabt?

Doch während der deutsche Blick in der Provinz verharrt, ist die Literatur der Einwanderer zweier Generationen längst aus dem Ghetto ausgebrochen. Sie bewegt sich in geistigen Metropolen, führt einen anderen Diskurs. Ihre Stimmen sind polyphon, Klanggebilde verschiedener Kulturen. Sie mischt sich, gegen Reinheitsgebote verstoßend, unter die einheimische Literatur. Aus der Erfahrung der Bikulturalität entstehen neue Sichtweisen. Diese Literatur stellt neue Fragen. Der Mono-Ton deutscher Literaturkanäle verleiht ihnen keine Stimme. Es ist an der Zeit, die literarische Rezeption auf Feinempfang zu stellen, um auch die Zwischentöne wahrzunehmen. Karin Yesilada