„Hier sind doch überall Spitzel“

Die Bauern im Südwesten Ugandas profitieren nur manchmal von den Konflikten in Zaire und Ruanda  ■ Aus Kisoro Bettina Gaus

Die Hauptstraße des kleinen ugandischen Ortes Bunagana an der Grenze zu Zaire sieht aus, als sei kürzlich eine Goldmine entdeckt worden. Hochgestapelte Ziegel, Sandhaufen und Gerüste an neu entstehenden Häusern zeugen von plötzlichem Wohlstand. Kioske, aus nagelneuen Brettern zusammengezimmert, bieten teuren Saft feil – ein Luxusartikel in dieser armen Gegend, in der vor allem Kleinbauern mit wenig Land und wenig Geld leben.

Aber es gibt in Bunagana genügend Käufer. Denn jeden Tag rollen lange Lastwagenkonvois des UN-Welternährungsprogramms WFP durch den Ort. Sie transportieren Lebensmittel für Hunderttausende ruandische Flüchtlinge in die Lager um die zairische Stadt Goma. Bis vor wenigen Monaten passierten fast ausschließlich Fußgänger den nahen Schlagbaum – jetzt verkaufen Halbwüchsige Postkarten und Kunsthandwerk als Andenken für die vielen Ausländer.

Der Konjunkturaufschwung kam für das Dorf unerwartet. Nach Bunagana führt nur eine schmale, ungeteerte Straße voller Schlaglöcher. Früher, also in den ersten Monaten nach der ruandischen Massenflucht Richtung Zaire im Juli 1994, benutzten die Lastwagen die gut ausgebaute Verbindung von Uganda nach Ruanda und von dort über den Grenzort Gisenyi nach Zaire – ein weit schnellerer und billigerer Weg. Nachdem sich jedoch Gerüchte verstärkten, wonach ehemalige Soldaten und Milizionäre unter den Flüchtlingen einen Angriff auf Ruanda planten, schloß die ruandische Regierung im vergangenen Februar die Grenze. Die Konvois mußten den Umweg durch die Berge nehmen. Seither boomt Bunagana.

Die Bevölkerung dieser Region im äußersten Südwesten Ugandas hat Erfahrung damit, daß ihr Leben von Krisen und Entwicklungen in den beiden unruhigen Nachbarstaaten Zaire und Ruanda bestimmt wird, auf die sie selbst keinen Einfluß nehmen kann. In der Distrikthauptstadt Kisoro prägen Soldaten das Straßenbild. Militärbaracken stehen auch im Dorf Canika an der Grenze zu Ruanda, die ansonsten völlig verlassen daliegt, ganz anders als die Grenze zu Zaire. Dabei ist das Verhältnis zwischen den Regierungen in Ruanda und Uganda gut. Ugandas Staatschef Yoweri Museveni gilt als Verbündeter der „Ruandischen Patriotischen Front“ (RPF), der mittlerweile siegreichen Rebellenbewegung, deren erste Kader einst aus der ugandischen Armee kamen und 1990 ihren ersten Angriff auf Ruanda vom ugandischen Südwesten aus begannen. Aber wer weiß, was die Zukunft bringt? Die Angst vor einem neuerlichen Ausbruch der Gewalt und die Furcht davor, ein weiteres Mal in einen blutigen Konflikt im Nachbarland hineingezogen zu werden, ist groß.

1992 bombardierte das damalige ruandische Regime mehrfach Kisoro als Vergeltung dafür, daß die RPF von Uganda aus operieren konnte. „An einem Markttag bin ich nach Kisoro gegangen“, erinnert sich Zeno Mbishinz'Imana, katholischer Priester der kleinen Gemeinde Soko in der Nähe der Distrikthauptstadt. „Während ich mit Freunden sprach, kam eine Bombe von der anderen Seite, ging ganz in der Nähe des Marktes nieder und zerstörte einige Häuser. Wegen dieser Unsicherheit wurden dann Soldaten stationiert.“

Es ist selten, daß hier jemand offen von Erlebnissen erzählt, die in einem politischen Zusammenhang stehen. Ein verwirrendes Dickicht aus Feindschaften und Bündnissen läßt die Gerüchteküche brodeln. Der Glaube an Verschwörungen und Geheimdienstaktivitäten gedeiht auch dann, wenn es keine konkreten Hinweise gibt. So sollen kürzlich zwei ugandische Bauern von ruandischen Milizionären aus Zaire erschossen worden sein. Im Mgahinga-Nationalpark, der genau zwischen beiden Ländern liegt, wurden fünf Eindringlinge aus Ruanda festgenommen, die Granaten bei sich hatten – sie sollen auf dem Weg nach Zaire gewesen sein. Eine Kuh wurde mit Waffengewalt gestohlen – keine kriminelle Tat ist zu gering, als daß die Menschen nicht die Verwicklungen der internationalen Politik für verantwortlich halten.

Die Bauern der Region können zu Fuß in die Nachbarländer gehen, viele haben Verwandte dort. Die Grenzen veränderten sich mehrfach während der Kolonialzeit und decken sich nicht mit den Grenzen des Lebensraums der Bevölkerung. „Eine Tante und zwei Cousins von mir leben im Flüchtlingslager bei Goma“, erzählt ein Mann aus Kisoro. Warum nimmt er sie nicht bei sich auf? „Wie sicher wäre ich denn da? Hier sind doch überall Spitzel aus Ruanda. Schreiben Sie bloß meinen Namen nicht“.

Ein neuer Krieg in Ruanda würde neue Flüchtlinge in die Region bringen. Bleibt es dagegen friedlich, profitiert auch Kisoro: Ende des Jahres soll die kleine Stadt mit ihren 7.000 Einwohnern Strom bekommen – aus Ruanda. Der Vertrag ist unterschrieben, die hölzernen Masten stehen schon. Alles weitere muß die Bevölkerung abwarten – wie immer. Selber tun kann sie nichts.