Große Gefühle auf der Futonmatte

■ Härte statt Rührseligkeit: Puccinis Tränenoper „Madame Butterfly“, neu gesehen im Bremer Theater

So eine Geschichte kann man 1995 eigentlich vergessen. Wäre da nicht die „unsterbliche“ Musik von Giacomo Puccini. Und nicht ganz nebenbei: Der Welterfolg von „Miss Saigon“ zeigt ja auch, daß das Thema so ganz unaktuell nicht sein kann. Zumindest taugt der Schmachtfetzen „Madame Butterfly“ für die abendliche Tränendrüse: Der amerikanische Soldat Linkerton schläft mit der Japanerin Cio-Cio-San, heiratet sie nach deren einheimischem Brauch, was zur Folge hat, daß sie von ihrer Familie verstoßen wird. Dann haut er ab und besucht drei Jahre später mit seiner nunmehr amerikanischen Frau den Ort seines japanischen Abenteuers. Cio-Cio-San hat ein Kind von ihm, erwartet ihn seit drei Jahren zurück. Bei der dramatischen Wiederbegegnung fordert Linkerton das Kind. Cio-Cio-San macht Selbstmord.

Das trieft natürlich geradezu vor Rührseligkeit. Daß es dazu im Bremer Theater am Goetheplatz in der zweiten Opernpremiere dieser Saison mit Puccinis Werk nicht kam, garantiert zum ersten die außerordentliche Qualität der musikalischen Wiedergabe und zum zweiten die Inszenierung von Elmar Fulda.

Der neue Generalmusikdirektor – kann dieser unsägliche Titel nicht mal geändert werden, oder ist man immer noch der Meinung, daß Dirigieren etwas mit „General“ oder auch „Direktor“ zu tun hat? – Günter Neuhold treibt der Musik alle vermeintliche Sentimentalität, alle falsche Gemütlichkeit aus. Die sonst oft süßlich ausgeführte Musik – 1904 bei der Uraufführung an der Mailänder Scala bekanntlich durchgefallen – bekommt einen bedrohlichen Sog, erklingt stets mit einer Präsenz und Härte, als sei sie selbst die Geschichte.

Es sind aktualisierende szenische Lösungen gewagt worden, zum Beispiel von Ken Russell, der die Geschichte einige Jahre vor dem Angriff auf Pearl Harbour ansiedelt. Auch bieten sich in einer Zeit dubioser Männer-Fernostreisen andere Lesarten der Oper an. Wenn man das nicht will – was ja immer auch zu Überinterpretationen führen kann – , muß man trotzdem nicht in falschen Realismus verfallen: Fulda arbeitet mit Form- und Farbsymbolen und stellt da hinein eine archaische, weil gesellschaftlich ungebundene, Gefühlswelt der Menschen.

Das überzeugt bedingt, denn Gefühle sind in der Regel gesellschaftlich vermittelt. Trotzdem hat die Inszenierung ihre Meriten, weil sie innerhalb ihres Ansatzes sehr konsequent ist und rein ästhetisch ungeheuer schön: Eine einsame Futonmatte prangte als einziges Requisit vor dem großen, unterschiedlich ausgeleuchteten Kreis im Hintergrund. Das erlaubt die Konzentration auf grelle Farben: Schwarz und Rot Cio-Cio-San und tiefblau Suzuki (Bühnenbild von Ruth Schaefer und Kostüme von Viola Lindenau) .

Da der Regisseur die Menschen eben aus den sozialen Kontexten isoliert, darüberhinaus die Handlung äußerlich arm, dafür innerlich umso reicher ist, kommt den einzelnen Personen eine größere Wichtigkeit zu. Rebecca Turner verleiht der Cio-Cio-San menschliche Größe: Ihr fast rituell anmutender Selbstmord ist mehr eine Entscheidung als eine Verzweiflungstat. Auch gesanglich fand die Sängerin feine und nuancierte Töne. Christiane Iven als Suzuki avanciert zur Hauptfigur, so präsent ist ihr ahnungsvolles Mitleiden vor der Katastrophe. Daneben haben die Männer statistenartigen Charakter, auch das eine eindeutig wertende Aussage der Inszenierung: mit glänzendem Belcanto Bruce Rankin als dümmlicher Linkerton und Nikolai Miassojedow als windiger Konsul Sharpless.

Ute Schalz-Laurenze

Weitere Aufführungen am 4., 10., 18., 24. und 26. November im Theater am Goetheplatz